Licht vom anderen Ufer
hast uns Kindern das immer gesagt. Nie etwas Halbes tun im Leben. Ich habe ihn aufgenommen und ich muss jetzt zusehen, dass sie ihn nicht finden.«
Schwer ließ der Bauer den Kopf hängen und starrte vor sich hin. Dann wandte er den Blick zum Feldkreuz hinüber. »Wenn dir jetzt der nicht hilft, seh ich schwarz, Anna.«
Anna verschwieg, dass sie gestern und heute schon immer wieder dort vor dem Kreuz gestanden und die Hände gehoben hatte, um die Hilfe des Gekreuzigten zu erflehen.
»Wo ist er jetzt?«, fragte der Rauscher plötzlich.
»In meiner Kammer.«
Langsam stand der Bauer auf, ging in die Hütte und öffnete die Tür zu der kleinen Kammer.
Der Flieger wandte mühsam den Kopf. Er war gerade dabei, wieder einzuschlafen. Als er den wuchtigen Mann, der mit seiner Gestalt den ganzen Türrahmen ausfüllte, stehen sah, ging ein unruhiges Zucken über seine Stirn.
Der Rauscher merkte, wie aller Zorn und alle Erregung in ihm zusammenfiel. Ganz ruhig fragte er: »Wer sind Sie?«
Die blauen Augen begegneten ihm ohne Angst.
»Oliver Pratt«, kam die Antwort.
»Also doch. Einen Augenblick habe ich gemeint, meine Tochter könnte sich geirrt haben.« Und die Stimme ein wenig bebend: »Sie werden gesucht. Wissen Sie das?«
»Ich weiß seit gestern Nachmittag nicht recht viel. Aber das begreife ich jetzt.«
»Und ist Ihnen auch klar, in welche Situation Sie meine Tochter und damit meine ganze Familie gebracht haben?«
Oliver Pratt drehte den Kopf gegen die Wand und sagte leise: »Es ist mir vollkommen klar. Entschuldigen Sie bitte, ich werde gehen, sobald ich kann.«
»Was heißt, sobald ich kann? Mein guter Mann, Ihre Lage ist ernster, als Sie denken. Und unsere auch… Sie können heute noch kommen, spätestens morgen. Sie durchsuchen jedes Haus, jeden Heustadel, jede Torfhütte.«
Ein hilfloses Lächeln zuckte um Oliver Pratts Mund. Seine schmalen Hände glitten unruhig über das Deckbett.
»Ich verstehe Sie vollkommen – und es tut mir Leid, dass ich Sie in diese Situation gebracht habe. Sie und Ihre Tochter.«
»Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich sehe in Ihnen keinen Feind. Und ich möcht Ihnen auch ganz gern helfen, aber ich weiß beim besten Willen nicht, wie.«
»Es tut gut, zu wissen, dass es auch hier noch Menschen gibt, die nicht vom Hass allein leben. Und ich will Ihnen auch keine Unannehmlichkeiten machen. Bitte -gehen Sie jetzt – und melden Sie mich denen, die mich suchen.«
»Nein, denen nicht. Es muss auch einen anderen Weg geben.«
»Versuchen Sie nur irgendwas. Vielleicht könnten Sie den nächsten Fliegerhorst erreichen. Mir ist bekannt, dass man dort wenigstens nicht erschlagen wird. Nur eine Bitte hätte ich noch. Dort – in der Uniformjacke steckt meine Brieftasche. Bitte, nehmen Sie die zu sich. Nehmen Sie sich die Dollars heraus – und sollte ich wirklich sterben müssen, dann – wenn alles vorbei ist -schicken Sie diese Brieftasche an meine Eltern. Die Adresse liegt dabei.«
Etwas widerwillig nahm Peter Rauscher die Brieftasche an sich. Er brachte es einfach nicht fertig, die Bitte abzuschlagen und er verstand auf einmal auch, dass seine Tochter nicht anders hatte handeln können. Sie wäre sonst nicht seine Tochter gewesen.
Dann warf er noch einen Blick auf den Verwundeten, der die Augen schon wieder geschlossen hatte. Langsam ging er hinaus und schloss die Tür leise hinter sich.
Anna stand im Hüttenraum an den Herd gelehnt und sah ihm mit brennenden Augen entgegen.
»Was wirst du jetzt tun, Vater?«
Mit schwerer Hand fuhr sich der Bauer über das Haar. »Herrgott, ist das schwer. Er tut mir Leid und darf mir nicht Leid tun. Ich müsste ihn melden und kann es nicht. Auf der anderen Seite – wenn es aufkommt, dass du ihn versteckt hast – Anna, die machen dir den Prozess und verurteilen dich zum Tode. Recht gut sind sie auf uns Rauschers sowieso nicht zu sprechen. Und sie werden kommen, verlass dich drauf.«
»Sie waren gestern schon da, Vater.«
»Ja, ich weiß. Der Federl und ein paar Bauern. Hättest ihnen doch die Wahrheit gesagt, dann hättest du die Last von dir.«
»Ich weiß, Vater. Und ursprünglich wollte ich es auch tun, aber ich hab es nicht können. Es wäre mir wie Verrat vorgekommen. Verrat an einem hilflosen Menschen.«
Über die Stirn des Bauern zuckte es wieder. »Verrat
werden sie auch das nennen, was du getan hast. Vaterlandsverrat. Aber er will gehen, sobald er kann.«
»Ja, er hat aber auch gesagt, dass du ihn denen melden sollst, die
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