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Licht vom anderen Ufer

Licht vom anderen Ufer

Titel: Licht vom anderen Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Ernst
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auszuspannen und das Geschirr abzunehmen. Sofort begann die Haflingerstute in dem saftigen Gras hinter der Hütte zu weiden.
    Der Rauscher setzte sich auf die Bank und hängte sich
    seine Jacke über die Schultern. Anna brachte ihm ein Glas kalter Milch aus dem Keller und setzte sich zu ihm. »Was gibt es Neues, Vater? Wie geht es der Mutter?« Nachdem er getrunken hatte, wischte sich der Rauscher den Mund ab. »Wie soll es ihr gehn? Seit der Matthias nicht mehr schreibt, sorgt sie sich schrecklich.«
    »Hat er immer noch nicht geschrieben?«, fragte Anna und dachte voller Sorge an ihren Bruder, der um zwei Jahre älter war als sie. Dann meinte sie, etwas Tröstliches sagen zu müssen. »Man darf doch nicht gleich das Schlimmste annehmen, Vater. Recht lang kann ja der Krieg auch nicht mehr dauern.«
    »Hoffentlich«, seufzte der Bauer. »Im Übrigen, seit gestern rennen sie wie aufgescheuchte Wespen umeinander. Der Federl ist ganz durchgedreht, weil niemand mehr mitgehn will. Ist ja auch verständlich. Draußen auf dem Feld wartet die Arbeit und unsereins soll spazieren gehn und suchen helfen.«
    Anna horchte auf. »Warum, was suchen sie denn?« Statt einer Antwort griff Rauscher in seine Jackentasche und reichte ihr ein hektographiertes Flugblatt, das am frühen Morgen schon in allen Häusern von Blockstein verteilt worden war. Anna nahm das Blatt und las:
    »Fahndung!
    Die Bevölkerung von Blockstein und Umgebung wird aufgefordert, tatkräftig mitzuhelfen bei der Fahndung nach dem feindlichen Terrorflieger Oliver Pratt, der gestern Nachmittag gegen vierzehn Uhr mit dem Fallschirm aus einem brennenden Flugzeug abgesprungen ist. Einer der feindlichen Flieger wurde tot geborgen. Ein zweiter konnte festgenommen werden. Sein Verhör ergab, dass es sich bei dem dritten um den sechsundzwanzigjährigen Leutnant Oliver Pratt handelt, von dem bisher jede Spur fehlt. Pratt ist 1,80 Meter groß, hat ein schmales Gesicht, blaue Augen und blondes Haar.
    Vorsicht bei Festnahme, trägt Pistole bei sich. Sachdienliche Mitteilungen sind an den nächsten Fliegerhorst oder an den Polizeiposten Blockstein zu richten. Wer dem Gesuchten Unterschlupf gewährt oder ihn sonst wie unterstützt, hat mit der ganzen Strenge des Gesetzes zu rechnen.«
    Anna ließ das Blatt sinken und starrte vor sich hin. In ihrem Gesicht war kein Tropfen Blut mehr. Ihre Hände zerknüllten nervös das Flugblatt. Sie seufzte laut. Da erst wurde der Rauscher aufmerksam. Sie scharf in seinen Blick nehmend, stellte er das Milchglas neben sich auf die Bank. »Was ist mit dir, Anna?«
    Anna starrte ihn aus verstörten Augen an. Dann lachte sie gereizt auf. »Was soll ich denn haben?«
    Der Vater griff nach ihrem Handgelenk und zwang sie, ihn anzusehen. »Ich kenne dich zu gut, Anna, als dass du mir etwas verbergen könntest. Also, was ist los?«
    Da machte sich Anna los und stand auf. Sie reckte sich in den Schultern. »Vater – ich muss dir etwas gestehen. Der – den sie suchen – er ist bei mir…«
    Der Rauscher schob ruckartig das Kinn vor. So sehr er sonst beherrscht war in allen Lagen, diese Nachricht traf ihn empfindlich.
    »Anna – das darf nicht wahr sein.«
    »Die Sache ist zu ernst, Vater, um damit zu scherzen.«
    Mit weiten Augen sah er sie an. »Bist denn du verrückt, Anna?«
    Sie hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. »Vielleicht bin ich verrückt, Vater. Ich kenne mich selber nicht mehr aus. Ich fand ihn gestern auf dem Almfeld oben – verwundet und hilflos. Was hätte ich denn um Gottes willen tun sollen? Sag doch du mir wenigstens, wie ich mich hätte verhalten sollen.«
    »Verhalten?« Der Rauscher lachte gequält auf. »Gar nicht verhalten hättest du dich sollen. Dich nicht um ihn
    kümmern. Er geht uns nichts an und außerdem – er ist unser Feind.«
    »Nicht dein Feind und auch nicht meiner«, antwortete Anna ruhig. »Zugegeben, ein Feind des Vaterlandes, wie sie so schön sagen: ein Terrorflieger. Immerhin auch ein Mensch wie du, wie ich, wie alle, die da unten im Tal leben. Ich habe an unseren Matthias denken müssen, Vater. Wenn es ihm auch so erginge! Er müsste verbluten, irgendwo draußen unter einem fremden Himmel, und niemand würde sich um ihn kümmern, weil er ja auch ein Feind ist.«
    Der Rauscher presste die Lippen hart zusammen. Sein Atem ging schwer. »Du magst ja Recht haben. Aber, was wird aus dir und aus uns allen, wenn aufkommt, dass du ihn verborgen hältst?«
    »Man kann nichts Halbes tun, Vater. Gerade du

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