Licht vom anderen Ufer
Anna bei ihm. Aber nichts rührte sich. Die Sonne stieg herauf und saugte den Schnee wieder weg. Die Vöglein begannen wieder zu singen. Und auf einmal hörte man in der Ferne dumpfen Kanonendonner. Olivers Gesicht verspannte sich.
»Das sind unsere. Das sind Amerikaner!«
»Noch weit weg?«
»Nein, nicht mehr weit.«
Da fiel ihm Anna um den Hals und weinte heftig.
Auch in Blockstein hörte man die Abschüsse. Im Nebenzimmer »Zu den vier Aposteln« stand ein Oberst mit seinem Stab. Auf dem Tisch lag eine Karte ausgebreitet, über die er sich immer wieder beugte. Das Ritterkreuz an seinem Hals baumelte leise bei jeder Bewegung seines Kopfes.
»Es hat keinen Zweck mehr, meine Herren. Was sollen wir hier noch verteidigen. In zwei Stunden können sie mit ihren Panzern hier sein.«
Auf der anderen Seite der Riss waren drei Geschütze in Stellung gegangen. Am Dorfeingang errichteten sie noch Panzersperren. Soldaten schoben aus den Bauernhöfen Wagen zusammen und stellten sie quer über die Straße. In den Uferbüschen der Riss richteten sie die Maschinengewehre ein und Pioniere brachten gerade eine Sprengladung an der hölzernen Brücke über die Riss an.
Der Oberst wandte sich an den hinter ihm stehenden Adjutanten. »So eine Kinderei. Als ob das noch einen Sinn hätte. Veranlassen Sie, dass die Sprengladung wieder ausgebaut wird.«
Mit hellem Singen kreisten ein paar feindliche Aufklärer über dem Dorf und zogen nach Westen ab. Dann sah der Oberst eine Gestalt im grauen Lodenanzug über die Straße springen. Gleich darauf stand der Schleicher vor den Offizieren.
»Ich hätte eine Meldung zu machen, Herr General.«
Der Oberst sah den Schleicher von oben bis unten an. Sein linkes Auge war blau unterlaufen, die Oberlippe aufgesprungen und die Nase dick angeschwollen.
»Was haben Sie zu melden?«
»In der Almhütte des Rauscherbauern oben hält sich ein amerikanischer Flieger versteckt.«
Der Oberst kniff die Augen zusammen. Um seinen Mund zuckte es vor Spott. »Vermutlich wollten Sie ihn festnehmen und haben dabei diese Verletzungen im Gesicht abbekommen?«
Der Schleicher fuhr sich vorsichtig mit dem Finger über die aufgesprungene Lippe. »Ganz genauso war es nicht, Herr General.«
Der Schleicher war ein wenig enttäuscht. Man maß seiner wichtigen Meldung nicht die gebührende Bedeutung bei.
Der Oberst ging darauf überhaupt nicht ein, sondern fragte ihn jetzt: »Beim Militär waren Sie nie?«
»Leider nein, Herr General. Ich wollte schon ein paarmal freiwillig – «
»Das dachte ich mir, sonst könnten Sie einen Oberst von einem General unterscheiden. Da hält sich also ein amerikanischer Flieger da oben verborgen. Wie kommt er dahin?«
»Er ist mit dem Fallschirm abgesprungen. Und was das Verwerfliche an der ganzen Sache ist – die Sennerin Anna Rauscher hat ihn bei sich versteckt.«
»Aha, und das passt Ihnen nicht.«
Der Schleicher wand sich wie unter einer körperlichen Qual. »Mich persönlich berührt das weniger, aber in Anbetracht unseres heroischen Abwehrkampfes – «
»Sehr richtig. Und was wäre da nach Ihrer Meinung zu tun?«
»Dieses Frauenzimmer muss wegen Feindbegünstigung festgenommen werden.«
Der Oberst hob wieder lauschend den Kopf gegen das Fenster hin. Man hörte wieder die trockenen Abschüsse aus Panzerkanonen. Er nahm eine Zigarette aus dem Etui. Der Adjutant reichte ihm Feuer. Dabei blinzelten sich die beiden zu. Dann wandte sich der Oberst mit gewinnendem Lächeln wieder dem Schleicher zu.
»Sie haben Recht. Die beiden müssen festgenommen werden. Und da Sie den Weg dorthin am besten wissen, gebe ich Ihnen den Befehl, die beiden herunterzubringen.«
Der Schleicher verwünschte sich in diesem Augenblick selber, den Weg hierher getan zu haben. Er sah die spöttischen Blicke auf sich gerichtet und hätte sich am liebsten in den Erdboden verkrochen.
»Oder haben Sie vielleicht Angst?«, kam die Stimme des Obersten hell und scharf auf ihn zu.
»Angst nicht, Herr Oberst. Aber wenn Sie mir ein paar Mann mitgeben könnten.«
»Ausgeschlossen. Ich brauche hier jeden Mann zum ›heroischen Abwehrkampf‹. Gehen Sie nur jetzt und führen Sie die beiden vor. Inzwischen richten wir die dreißig Silberlinge her.«
Urban Loferer schaute verdutzt auf. Dann begriff er, wofür man ihn hielt, und schlich geduckt hinaus.
Das ganze Dorf war voller Soldaten. Sie wussten, dass über ihr weiteres Schicksal da drinnen im Nebenzimmer der »Vier Apostel« entschieden wurde. Sie
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