Licht vom anderen Ufer
heimgeschickt.
Alles entwickelte sich langsam, aber zielbewusst. Die Ausgangssperre wurde verlängert und schließlich ganz aufgehoben. Die Amerikaner waren immer noch im Dorf und die Kränze auf dem Grabhügel des General Franko waren bereits verblasst, aber den Schleicher hatte man immer noch nicht gefunden. Er war spurlos verschwunden und es war bei seiner Wendigkeit gar nicht ausgeschlossen, dass er anderswo unter falschem Namen wieder eine gewichtige Rolle spielte, dieses Mal als Antifaschist.
Ja, es ging alles seinen Gang. Die Saaten reiften heran, das Heu musste bald geschnitten werden. Nur Emma Brommesberger war durch das Kriegsende auf einen anderen Weg geschoben worden, auf einen Weg nach oben sozusagen, und sie nahm sich sogar ganz repräsentabel aus in ihrer »gehobenen Stellung« als Wäscherin für die Amerikaner.
Eines Nachmittags saß sie vor ihrem Häuschen auf der Bank, als ein baumlanger Schwarzer vorbeischlenderte mit einem Paket unterm Arm. Emma war fasziniert von seiner athletischen Erscheinung und sagte mehr aus Angst recht artig »Grüß Gott«. Der Schwarze zeigte sein herrliches Gebiss und fragte: »Du nix waschen?«
Emma begriff nicht gleich und verstand erst, als er ihr das Bündel mit Wäsche hinhielt. Sie hob bedauernd die Schulter. »Nix Seife.«
An dem sollte es wirklich nicht liegen. Emma bekam Seifenpulver und Seife, mehr als sie brauchte. Und sie bekam Wäsche, mehr als sie bewältigen konnte. Aber sie war ein Arbeitstier. Sie wusch und bügelte mit dem neuen Bügeleisen, das man ihr brachte, und setzte Fett an von der reichlichen Kost, die man ihr zuschob. Der Malermeister Hübler musste ein großes Schild malen, auf dem in großen Lettern »Waschanstalt« stand, und Emma hätte ein herrliches Leben führen können mit all den Zigaretten, die als Zahlungsmittel dienten. Aber das verstand sie nicht. Sie verschenkte alles. Die Schokolade an die Kinder des Dorfes, die Zigaretten an jeden, der welche wollte. Sie wurde zu einer begehrten Person, die Amerikaner schätzten sie wirklich und die Einheimischen rauchten ihre Zigaretten und nannten sie die Marketenderin oder das Amiliebchen, obwohl sie sich mit keinem einließ, weil sie trotz ihres geringen Geistes von diesem Fraternisierungsgesetz gelesen hatte, das sie bei sich das »Franziskusgesetz« nannte.
So ging die Zeit dahin. Anna Rauscher rüstete für den Auftrieb zur Hochalm und der Bruder brachte ihr den Rest der Herde, den sie noch für eine Zeit unten behalten hatten.
Matthias Rauscher war ein mittelgroßer Bursche und hatte mit Anna eigentlich wenig gemein. Der Krieg hatte ihn ausgelaugt und die paar Wochen Heimat hatten noch nicht gereicht, ihm die zwanzig Pfund Fleisch zu schenken, die ihm noch abgingen, um wieder ein kräftiger Mann zu sein.
Nein, Matthias hatte mit seiner Schwester nichts gemein. Wohl wusste er, dass er seine frühe Heimkehr nur ihr zu verdanken hatte. Aber er dankte es ihr nicht. Als er die Herde, hauptsächlich Jungvieh, zur Niederalm brachte, ging er auf Annas Freundlichkeit gar nicht ein, die froh gewesen wäre, in ihrer Verlassenheit mit jemanden sprechen zu können. Er sah sich im Raum um und sagte gehässig:
»Da hast du ihn also versteckt gehabt, deinen Amerikaner?«
Anna horchte auf. Es war weniger die Frage, als der Ton, der sie stutzig machte.
»Warum fragst du, wenn du es doch weißt?«
»Weil ich mich schönstens bedankt hätte, wenn ich bei meinem Heimkommen erfahren hätte, dass meine Cilli einen Amerikaner versteckt gehabt hätte, während wir draußen die Köpfe hinhalten mussten.«
»Die Risser Cilli war nicht in der Lage wie ich. Aber es kann sein, dass sie weniger Herz gehabt hätte als ich.«
Matthias Rauscher zündete sich eine Zigarette an und meinte: »Das Verstecken allein wäre ja noch zu schlucken. Aber man sagt, dass du eine regelrechte Liebschaft mit ihm gehabt hättest.«
»Und wer will das so genau wissen?«
»Das wird doch im ganzen Dorf geredet. Und wenn ich’s genau betrachte, bist du nicht recht viel besser als die Emma, die den Amerikanern ihre dreckige Wäsche wäscht.«
Anna hatte begonnen, alles zusammenzupacken, was auf die Hochalm mitgenommen werden musste. In ihrem Mund war ein bitterer Geschmack. Jetzt, wo alles vorüber war, kreidete man ihr an, was sie zunächst aus rein menschlichem Mitgefühl getan hatte. Man konnte sie jetzt dafür nicht mehr einsperren, aber man ließ es sie fühlen. Sogar der eigene Bruder. Ihr Ruf war gesunken, man
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