Licht vom anderen Ufer
Erlebnis, einmalig in seiner Schönheit und Beglückung, ließ sich nicht einfach abwaschen wie Staub oder wie ein Rußfleck, wie sie ihn zuweilen auf die Haut bekam, wenn sie Feuer anmachte in der offenen Herdstelle.
Ja, hier auf der Hochalm war alles viel primitiver als unten auf der Niederalm. Hier brannte das Feuer noch offen auf ein paar Ziegelsteinen und die Sparren oben waren verrußt und voller Pech. Hier gab es auch keine Schlafkammer wie unten. Anna schlief auf einem Lager aus Seegras hinter einem Bretterverschlag.
Thomas kam jetzt näher. Er war ein großer, breitschultriger Mensch, ein wenig linkisch, aber gutmütig in seiner Art. Anna dachte, dass fast zwei Jahre vergangen waren, seit sie sich zuletzt gesehen hatten. Sein Gesicht sah immer noch rot und gesund aus, sein Lachen war noch immer das gleiche und der Druck seiner Hand noch so schmerzhaft wie früher.
Weil er so wie früher lachte, zweifelte Anna, ob er von ihrem Erlebnis etwas wisse.
Er streckte ihr die Blumen hin und sagte: »Am Lerchenhang oben hab ich sie gefunden.«
Er müsste mich eigentlich jetzt in die Arme nehmen, dachte Anna und war doch froh, dass er es nicht tat.
»Die freuen mich aber ganz besonders«, sagte sie und es war ehrlich gemeint. Sie füllte eine Schale mit Wasser und stellte die Blumen hinein. Dann erst sah sie ihn voll und ohne jede Bedrückung an.
»Und wie geht es dir, Thomas?«
Er bewegte den linken Arm. Die Scharniere quietschten ein wenig, aber er sagte, dass er fast alles damit tun könne. Zum Zeichen, dass es die Wahrheit war, nahm er den Eimer mit Wasser und trug ihn in die Hütte.
Er benahm sich überhaupt so, als sei er erst vorige Woche zum letzten Mal hier gewesen und nicht vor zwei Jahren. Er schlüpfte aus seiner Jacke und hängte sie über die Stuhllehne. Dann kramte er seine kurze Pfeife hervor und zündete sie an. Immer noch nichts von einer Umarmung, kein Wort, wie froh er sei, sie wieder zu sehen. Er saß da wie ein Mensch, in dem das Glück zwar heimlich pochte, der sich aber beherrschen konnte. In seinen Augen leuchtete es auf.
»Mir kommt es vor, als ob du in der langen Zeit, in der wir uns nicht sahen, noch schöner geworden wärst, Anna.«
»Ja, meinst du?«, fragte sie und überlegte, wie sie ihm beibringen könnte, dass sich in der langen Zeit bei ihr doch etwas geändert hätte. Aber Thomas ließ sie einfach nicht dazu kommen. Er sprach fast ununterbrochen mit der behäbigen Ruhe eines Menschen, der sich mit seinem Los ausgesöhnt hat. Er ließ sich in langen Erklärungen darüber aus, dass er mit der künstlichen Hand sogar essen könne, und wenn es eine schwere Arbeit gäbe, so könne er die Hand abschrauben und an ihrer Stelle einen eisernen Haken einsetzen. Das Gewinde passe für beides und er habe es auch schon ausprobiert und einen Baumstamm gehoben.
Einem anderen neben ihm habe es beide Beine weggerissen, als die Mine hochging. In diesem Fall, meinte er, wäre er lieber gestorben. So aber habe sich nichts Wesentliches geändert. Er sprach dann weiter davon, dass er das Sägewerk umbauen wollte, wenn sich die Zeiten nur erst normalisiert hätten. Er erzählte ihr auch, dass seine Schwester demnächst heiraten werde und dass sein Vater im nächsten Monat seinen siebzigsten Geburtstag feiere. Lauter belanglose Dinge für ein Wiedersehen nach zwei Jahren. Und Anna war froh darüber. Sie lauschte gerne seiner gut klingenden Bassstimme, die etwas Warmes, Vertrautes hatte. Es störte ihn auch nicht, dass Anna während der ganzen Zeit arbeitete und ihre Arbeit erst unterbrach, als er aufstand, um seine Pfeife an der roten Ziegelmauer des Herdes auszuklopfen. Da legte er nämlich plötzlich seinen Kunstarm um ihre Schulter. Er war hart und nicht anschmiegsam, es fehlte die Wärme eines wirklichen Armes, und Anna hatte das Empfinden, als sei sie unter eine gebogene Baumwurzel geraten. Sie fror unter dieser Berührung und senkte die Stirn.
Mit der gesunden Hand griff er unter ihr Kinn. Seine Augen waren von einem dunklen, sanften Braun. »Wie wär es denn mit einem Bussl?«, fragte er.
Anna hob ihm gleichgültig den Mund entgegen. Er küsste sie genauso wie früher auch schon zuweilen, ein wenig linkisch und scheu. Damals hatte sie das nicht so empfunden, jetzt tat es ihr weh und sie hätte weinen können, denn sie dachte an Oliver und an seine leidenschaftlichen Küsse.
Thomas merkte von all dem nichts. Er ließ Anna wieder los und sagte mit schwerem Glück in der Stimme:
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