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Licht vom anderen Ufer

Licht vom anderen Ufer

Titel: Licht vom anderen Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Ernst
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stellte sie auf die gleiche Stufe wie die Emma Brommesberger, die man verachtete, weil sie Handlangerdienste für die Amerikaner verrichtete, und von der man sich aber trotzdem die Zigaretten schenken ließ, die sie sich durch die Arbeit verdiente.
    Nun hatte sie alles in den großen Rucksack gepackt. Sie strich sich vor dem Spiegel ihr Haar zurück und trat vor den Bruder hin.
    »Ich hätte dir manches zu sagen, Matthias, aber du verstehst mich ja doch nicht. Und es ist auch gar nicht wichtig, dass ich von dir verstanden werde. Du solltest aber nicht vergessen, dass du es mir zu verdanken hast, das du schon daheim bist. Ich habe einen Wunsch äußern dürfen und da habe ich gleich an dich gedacht, denn schließlich bist du mein Bruder. Aber Undank ist der Welt Lohn. Es wäre bloß schön gewesen, wenn du mich dafür ein bissl in Schutz genommen hättest gegen diejenigen, die jetzt meinen, über mich herfallen zu können. Macht aber nichts, Matthias, ich werde schon allein fertig mit allem. So, und jetzt wollen wir schauen, dass wir losziehen, sonst kommen wir in die ärgste Hitze hinein.«
    Matthias hatte einen roten Kopf bekommen und lenkte ein: »Ja, ja, so habe ich es ja auch nicht gemeint. Es ist ja bloß – ich bin immer so stolz gewesen auf meine Schwester, und als man mir das erzählt hat – «
    »Niemand kann das beurteilen, Matthias. Und wenn du Oliver gekannt hättest, würdest du vielleicht anders denken. Aber reden wir nicht mehr davon.«
    Sie sperrte alles sorgfältig ab und machte sich auf den Weg. Matthias fuhr mit dem Haflinger voraus, Anna ging hinter der Herde her. Bevor sie in die Talsenke einbog, blieb Anna noch einmal stehen und schaute zurück. Es war ihr zumute, als sei ihr Herz aus ihr herausgefallen, so leer und ausgebrannt kam sie sich vor.
    Das Dach der Hütte schimmerte durch die Fichten, und sie musste an die Stunden denken, die sie mit Oliver unter diesem Dach verlebt hatte. So klar und einfach und so selbstverständlich war alles gewesen. Und nun war ihr Leben voller Probleme. Weil sie hilfsbereit gewesen war, ließ man sie Verachtung spüren.
    Oliver, dachte sie inbrünstig, nie in ihrem Leben würde sie die Stunde ums Abendrot vergessen, in der er den Gang einlegte und mit brummendem Motor im Wald verschwunden war. Er hatte ihr schreiben wollen und hatte es bisher nicht getan. Anna wusste ja nicht, dass das noch gar nicht ging. Die Ordnung, für die General Franko bis zu seinem letzten Atemzug gelebt hatte, war durcheinandergekommen, und es würde wohl noch eine lange Zeit dauern, bis sich alles wieder eingespielt hatte.
    Nach dem kurzen Taleinschnitt begann der Weg immer steiler und steiniger zu werden, Matthias musste den Haflinger immer öfter rasten lassen und auf Annas Stirn stand der Schweiß, als sie endlich um die Mittagsstunde auf der Hochalm ankamen, die siebzehnhundert Meter hoch lag, direkt am Fuß der grauen Felsen.
    Hier würde Anna nun ein gutes Vierteljahr bleiben. Und als Matthias so gegen drei Uhr wieder talwärts fuhr, trug sie ihm auf, dass man ihr, falls Post für sie kommen sollte, diese sofort heraufschicken möge.
    Matthias hatte schon wieder sein spöttisches Lächeln um die Mundwinkel. »Vielleicht leihen uns die Herrn Amerikaner einen Hubschrauber.«
    In diesem Augenblick erkannte Anna, dass das, was sie mit dem Bruder jemals verbunden hatte, zerrissen war. Vielleicht hatte es dieses Augenblicks auch erst bedürft, um zu erkennen, dass sie sich nie besonders viel bedeutet hatten. Gewiss, als Kinder hatten sie sich so recht und schlecht vertragen, bis Matthias in das Alter kam und sich immer häufiger nach den Mädchen umsah, bis er der Risser Cilli von Grub das Versprechen gab, dass sie und keine andere einmal Bäuerin vom Goldenen Grund sein solle.
    Mittlerweile war er ja nun um vier Jahre älter geworden und hatte mit dem Kriegshandwerk auch viel Zynismus gelernt und sei es nur der Ton, den er der Schwester gegenüber anschlug, die ihn schließlich schon am dritten Tag nach Kriegsende aus dem Gefangenenlager herausgebracht hatte, aus genauso einem Lager, aus dem die jüngeren Jahrgänge in die Bergwerke nach Frankreich geschickt wurden.
    Als Matthias jetzt wegfuhr, fiel ihm so nebenbei noch ein: »Jetzt hätte ich es bald vergessen. Der Staffner Thomas ist gestern heimgekommen.«
    Anna erschrak nicht und freute sich auch nicht. Sie nahm die Nachricht hin wie ein Glas Wasser, wenn der Durst nicht recht groß war.
    »So?«, sagte sie. Sonst nichts.
    Der

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