Licht vom anderen Ufer
Bruder stieg in die Speichen des Karrenrades und von da über die Planke. Jetzt saß er auf dem Brett und ergriff die Zügel.
»Ich meine, das wird jetzt halt was, wenn der Thomas erfährt von deinem Husarenstückl.«
»Sag zum Vater, es wäre mir lieber, wenn er dich nicht mehr raufschicken würde mit dem Almkarren und besser selber käme.«
»Soll ich ihm einen schönen Gruß ausrichten, dem Thomas?«
Anna trat in die Hütte und warf die Tür hinter sich zu.
Emma wusste, dass man über sie nichts Gutes sprach. Aber sie regte sich darüber nicht auf. Klein und schattenwüchsig stand sie über dem Gerede und konnte höchstens nur zornig werden, wenn Anna Rauschers Erlebnis mit Oliver in den Dreck gezogen wurde. Sie war die einzige, die Anna mit aller Leidenschaftlichkeit verteidigte, und begriff vielleicht mit ihrem einfachen Sinn als einzige das Märchen vom Berg, das die Menschen zu einer liederlichen Episode herunter würdigten.
Was tat Emma denn schon Unrechtes? Die farbigen Soldaten saßen auf der langen, niederen Bank vor ihrem kleinen Haus, einsame, gutmütige Buben, rauchten die süßlich riechenden Zigaretten und sangen zuweilen im Schmerz ihres Heimwehs schwermütige Lieder in der Dämmerung. Emma verstand kein Wort davon, verstand auch sonst nicht, was sie sagten, und es mochte wohl sein, dass der eine oder andere fragte, ob sie nicht einmal Zeit hätte zu einem Spaziergang an der Riss entlang bis zur Grotte des heiligen Sebastian. Aber, wie gesagt, Emma verstand diese Sprache nicht, und sie dachte auch gar nicht daran, sich etwa ein Buch zu beschaffen, wie Fräulein Zita von der Postagentur, um Englisch zu lernen, damit sie sich mit dem jungen Leutnant unterhalten konnte, der in den »Vier Aposteln« wohnte und jeden Tag eine Büchse Corned Beef auf das schmale Schalterbrett schob.
In der Einsamkeit der Alm erfuhr Anna nichts. Und als der Vater die Woche darauf mit dem Almkarren kam, waren ihre Augen nur auf die Tasche gerichtet, die er dabei hatte, ob vielleicht nicht doch ein Brief für sie dabei sei.
Der Rauscher las ihr die Enttäuschung vom Gesicht ab und sagte gutmütig: »Träumst du denn immer noch dem Fremden nach? Das ist doch sinnlos, Anna.«
»Mag sein, Vater. Aber träumen werde ich mein Leben lang davon.«
»Ich bin bloß neugierig, wie der Thomas sich damit abfindet .«
»Das muss ich ihm überlassen«, antwortete Anna, ohne lange zu überlegen. »Manchmal wünsche ich mir sogar, dass Thomas sich nicht damit abfinden könnte.«
»Du bist verrückt, Anna.«
»Kann sein, ich weiß es nicht. War er denn schon bei euch?«
»Ja, gestern.«
Anna sagte nichts darauf. Sie sah nur über den Almhang hinauf zum Grat, über den der Schäfer Gabriel gerade langsam seine Herde trieb.
»Man merkt gar nicht, dass er einen künstlichen Arm hat«, sagte der Rauscher nach einer Weile. »Ein Fuß wäre viel schlimmer gewesen.«
»Schlimm ist es so und so«, erwiderte Anna.
Nach zwei Stunden spannte sie den Haflinger ein. Von der Hochalm bis ins Dorf waren es immerhin gut drei Stunden. Der Vater musste heim, denn sie hatten bereits mit der Heuernte begonnen.
Hoch, und nur als silberne Punkte zu sehen, zog eine Staffel viermotoriger Flugzeuge über die Berge. Nur das Geräusch der Motoren erfüllte den Raum zwischen Himmel und Erde. Anna sah den glitzernden Vögeln mit schmalen Augen nach. Dann drückte sie ihr Gesicht in die helle Mähne der Haflingerstute. Mit einem Mal übermannte sie ein ungeheures Bedürfnis nach Zärtlichkeit und Wärme.
Die Viermotorigen aber zogen gemächlich über die Bergkette hin, ein Übungsflug nur, denn der Krieg war vorbei.
Am Sonntag darauf kam Thomas Staffner.
Anna war gerade damit beschäftigt, die Milchtücher auszukochen, schwenkte sie dann draußen am Brunnen aus und hängte sie in die Sonne, als sie plötzlich im Geröll einen Schritt vernahm.
Thomas kam von oben und hatte einen Strauß Steinröslein in der Hand. Der andere Arm hing steif herunter.
Als Anna ihn mit seinem ruhigen, bedächtigen Schritt zur Alm hinuntersteigen sah, horchte sie in sich hinein, ob ihr Herz nicht schneller schlüge. Aber es blieb ganz ruhig. Nur ein ehrliches Mitleid überkam sie, weil sie dachte, wie schmerzlich es doch sein musste, einen Arm verloren zu haben.
Ob er es schon weiß?, überlegte sie und sagte sich gleich hinterher, wie dumm es sei, anzunehmen, dass man ihm nichts von Oliver hinterbracht haben sollte. Sie wollte es sowieso nicht leugnen. So ein großes
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