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Licht vom anderen Ufer

Licht vom anderen Ufer

Titel: Licht vom anderen Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Ernst
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weil er im Krieg einen Arm verloren hatte… «
    Thomas legte langsam seinen Löffel weg. Er war jetzt satt und suchte nach seiner Pfeife. Über das verglimmende Zündholz hinweg sah er Anna an. Ihr Gesicht war blass bis in die Mundwinkel hinein. Was würde Thomas jetzt sagen? Aber der schwieg noch und zog heftig an seiner Pfeife. Erst als sein Gesicht hinter dem aufsteigenden Rauch ganz verhüllt war, kam seine Stimme hervor.
    »Es kommt immer darauf an, wie man eine Sache anschaut.« Er schlug den Rauch vor seinem Gesicht weg. Bei dieser Bewegung sah Bergmann erst, dass er einen künstlichen Arm hatte, kombinierte sofort richtig und stieß den Birkl unter dem Tisch mit dem Fuß an, dass er schweigen möchte. Thomas aber sprach weiter: »Dann
    kommt es weiter darauf an, was man glauben darf und nicht. Gerade in solchen Fällen reden die Leute viel, die Hälfte ist meistens erlogen.«
    »Mag sein«, gab Birkl zu. »Mir würde die Hälfte genügen. Ich glaube auch gar nicht, dass es so einen Narren gibt, der so einem Weibsbild noch mal glaubt.«
    Zum zweiten Mal wurde Birkl unter dem Tisch heftig gestoßen und jetzt erst schien er zu begreifen, was er da angerichtet hatte.
    »Doch, so einen Narren gibt es«, sagte Thomas und stand langsam auf. Er drückte die Glut in seiner Pfeife nieder, sah alle der Reihe nach an und fügte hinzu: »So ein Narr bin nämlich ich.«
    »Thomas«, flüsterte Anna.
    »Jawohl, so ein Narr bin ich«, wiederholte Thomas mit so heftigem Nachdruck in der Stimme, dass eine Widerrede nicht ratsam war. »Ich bin es darum, weil ich nicht alles glaube, was die Leute an Unsinn und Gemeinheiten zusammenreden. Mit dem Steinwerfen sind sie gleich zur Hand, auch wenn sie nichts wissen. Und meistens werfen gerade die, die selber mit einem Stein beworfen werden könnten.«
    Nach diesen Worten wurde es so still, dass man den Wind über die Dachschindeln hinweg singen hörte, obwohl er nur leise ging und sich die Nadeln der Föhren vor dem Fenster draußen kaum bewegten.
    Dann versuchte Bergmann das Peinliche der Situation abzuschwächen. »Ich weiß nicht, warum wir uns über eine Sache ereifern, die uns nichts angeht. Das Mädchen wird schon wissen, warum es den Flieger in Schutz genommen hat. Sie wird es mit ihrem Gewissen wahrscheinlich vereinbaren können und muss es selbst verantworten.«
    »Das weiß ich freilich nicht«, antwortete Thomas. Dann deutete er mit dem Kinn auf Anna hin. »Da steht sie, fragt sie doch.«
    Betretenes Schweigen bei allen. Birkl, der das Gespräch eigentlich vom Zaun gebrochen hatte, war es jetzt sichtbar unangenehm. »Das konnte ich natürlich nicht ahnen«, meinte er daraufhin. »Ich bitte vielmals um Entschuldigung.«
    »Warum denn?«, fragte Thomas. »Die Anna wird wissen, ob sie mir die Wahrheit sagen oder ob sie mich anlügen will.«
    Es kam jetzt keine rechte Unterhaltung mehr in Gang. Die drei hatten es jetzt plötzlich sehr eilig, weiterzukommen. Sie könnten gerade den Vier-Uhr-Zug noch erreichen, meinte Birkl.
    Anna hätte sie nun leicht so gehen lassen können. Aber sie gab, was sie entbehren konnte an Milch und Butter und lächelte nur bitter, als Birkl beschämt sagte, wie Leid es ihm täte.
    »Warum?«, fragte sie. »Es war Ihre Meinung – und jetzt darf man sie doch sagen.«
    Sie gaben beiden die Hand und bedankten sich überaus herzlich. Dann nahmen sie ihre Rucksäcke auf und verschwanden schnell über die Abkürzung hinter der Hütte. Nach wenigen Minuten nahm sie bereits der Jungwald auf.
    Thomas blieb draußen stehen und hatte die feste Absicht, das Thema nicht mehr anzuschneiden. Ihm kam es vor, als ob er kein Recht dazu hätte, wie ja auch er einen Seitenweg gewandert war und Anna ihm deswegen keinen Vorwurf gemacht hatte. Und sie waren weder verheiratet noch verlobt.
    Er hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt und sah zu den Bergspitzen hinauf, um die kleine, weiße Wolken hingen. Dann fesselte ihn ein Schwalbenpaar, das unter dem Dachbalken sein Nest zu haben schien.
    Anna störte ihn nicht. Sie räumte in der Hütte auf und zog sich um. Erst als sie mit allem fertig war, trat sie in die Tür und rief ihn.
    Langsam drehte er sich um. In seinen Augen leuchtete es auf. So schön, meinte er, habe er sie noch nie gesehen. Sie trug jetzt einen schweren, gewirkten Faltenrock, darüber ein Oberteil aus weinrotem Samt mit silbernen Knöpfen, darunter eine weiße Leinenbluse mit weiten Puffärmeln. Ihr Gesicht war nun wieder ganz ruhig und

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