Licht vom anderen Ufer
gesammelt. Zwischen den zweiten und dritten Knopf des Oberteils hatte sie eins von den kleinen Steinröslein gesteckt.
»Teufeldixeine! Bist du schön«, staunte er.
Anna ging darauf nicht ein, sondern fragte ihn, mit einem leisen Zittern in der Stimme: »Was willst du nun von mir hören, Thomas?«
Er machte eine abwehrende Handbewegung. »Lassen wir’s sein, Anna.«
»Nein, Thomas, das muss jetzt ausgeredet werden.«
»Dann musst du mir die Wahrheit sagen, Anna. Nichts als die reine Wahrheit.«
»Und wirst du sie ertragen können, Thomas?«
»Sie wird immer noch besser sein als eine Lüge.«
Anna trat nahe an ihn heran, legte ihre Hand auf seinen künstlichen Arm und holte tief Atem.
»Bevor die drei kamen, wollte ich dir alles sagen, Thomas. Ich weiß nicht, ob es vorher besser gewesen wäre oder jetzt. Jetzt kenne ich nämlich deine Meinung und ich fürchte, dass ich dir weh tun muss. Eins muss ich noch vorausschicken, Thomas. Verlobt waren wir zwei nicht. Ich bin dir immer gut gewesen, weil du ein grundanständiger Mensch gewesen bist und nie aufdringlich warst. Ich weiß auch, dass dein Vater und mein Vater es gerne sähen, wenn wir zwei zusammenkämen. Aber nun ist halt das dazwischengekommen.«
Sie hatte das leise gesprochen und dabei auf den Hang hinaufgeschaut, wo die Kühe weideten. Jetzt erst sah sie ihn an. Seine Brauen waren etwas zusammengeschoben, nicht zornig, nur nachdenklich, und er schluckte heftig.
»Was ist dazwischengekommen?«, fragte er.
»Das mit Oliver Pratt.«
Lange sah er zu Boden und stieß mit der Fußspitze ein Steinchen weg. Dann hob er die Augen.
»Anna, ich hab dir vorhin das von der Krankenschwester erzählt, weil ich dir gegenüber ein ganz reines Gewissen haben wollte. Und ich kann mir nicht denken, dass du mir deswegen etwas nachträgst. Was vorbei ist, kann man leicht vergessen. Warum soll dann ich dir bös sein?«
Ein müdes Lächeln zuckte um ihren Mund. Ach, er wird mich wohl nie verstehen, dachte sie.
»Bei mir ist es doch viel tiefer gegangen, Thomas. Zuerst fand ich einen hilflosen, verwundeten Menschen auf dem Almfeld. Ich hab gewusst, dass ihm nichts Gutes bevorstünde, wenn man ihn festnahm. Darum, und weil der Dümmste es sich hat ausrechnen können, dass der Krieg nicht mehr lang dauern würde, habe ich ihn versteckt. Zuerst war es Mitleid mit seiner grenzenlosen Hilflosigkeit. Und dann – ich weiß es selber nicht mehr, wie es gekommen ist. Da ist es eine Liebe geworden, so schön und stark – bei uns beiden –, dass wir machtlos dagegen gewesen sind. Ja, Thomas, ich habe ihn geliebt. Zum Schluss war es so, dass ich für ihn hätte sterben können.«
Sein Gesicht war plötzlich fahl geworden. Dieses Geständnis hatte er nicht erwartet und es traf ihn doch recht schwer. »So ist das also«, flüsterte er vor sich hin.
»Es ist die reine Wahrheit, Thomas. Ich hab sie dir sagen müssen, weil ich dich nicht anlügen kann.«
Er lachte gequält auf. »Manchmal wär eine Lüge besser als die Wahrheit. Aber eine andere Frage, Anna. Liebst du ihn immer noch?«
»Soll ich lügen?«
»Nein, nein, jetzt ist es für den Rest auch schon egal. Umbringen wird es mich nicht gleich.«
Anna senkte den Kopf und drehte sich um, als wollte sie in die Hütte gehen.
»Ja, Thomas, ich liebe ihn immer noch und ich weiß, dass das nie aufhören wird.«
»Dann ist das was anderes«, sagte er nach einer Weile resigniert, trat an ihr vorbei in die Hütte und griff nach seiner Jacke, die über dem Stuhl hing. Dann zwängte er sich an ihr vorbei und dabei war ihr, als mache er sich absichtlich recht schmal, um sie nicht zu berühren. Aber sie konnte sich auch nicht bewegen, es war, als wäre sie an den Türbalken genagelt. Zaghaft sagte sie:
»Ich nehme es dir nicht übel, Thomas, wenn du jetzt gehst. Aber vielleicht bringst du es fertig, nicht mit Verachtung an mich zu denken.«
Er drehte sich langsam um. »Verachten? Dazu hab ich kein Recht, Anna.«
»Die anderen haben auch kein Recht dazu und tun es doch.«
»Die anderen? Bin ich nicht immer ein wenig anders gewesen als die anderen?«
»Ja, Thomas, das stimmt. Und darum mochte ich dich immer gern.«
Er schlüpfte in seine Jacke, und weil es mit dem künstlichen Arm nicht so leicht ging, half Anna ihm.
»Bloß eins sag mir noch, Anna. Was erwartest du dir von allem? Glaubst du, dass – dass du ihn noch jemals in deinem Leben wieder siehst?«
»Vielleicht ist es dumm von mir, aber ich glaube es. Auf alle Fälle
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