Licht vom anderen Ufer
und Föhn den letzten Schnee oben im Gebirge geschmolzen hatten.
Unweit der Sägemühle Staffner saß Thomas am Ufer der Riss, hielt die Hände um die aufgezogenen Knie und starrte unverwandt auf die eilig dahinfließenden Wellen, als wolle er jede einzelne zählen.
Er dachte daran, dass er vor einem Jahr noch im Lazarett gewesen war, im Herzen zufrieden und umsorgt von jener Krankenschwester Ingeborg Schmeller, die ihm vor ein paar Tagen einen Brief geschrieben hatte. Eine ganz kurze Anfrage nur, wie es ihm jetzt gehe, und ob er noch manchmal an sie denke und ob sie nicht den Urlaub einmal dort verbringen könne, wo er zu Hause sei.
Sie ist eigentlich ein recht lieber Kerl, dachte er und spürte auf einmal das Verlangen, sie wieder zu sehen. Ihre heitere Art war es doch gewesen, die ihm das Unglück mit seinem Arm leichter gemacht hatte, die ihn zu trösten wusste, als er einmal Bedenken äußerte, ob die Anna Rauscher ihn auch als Krüppel noch möge. Jawohl, getröstet mit guten Worten und mit Küssen, wie er es seitdem nie mehr erlebt hatte.
Aber der Arm war nicht schuld. Ein Mann, Oliver Pratt, war schuld und vor allem Annas freimütiges Geständnis, dass sie für den anderen hätte sterben können. So lieb hatte sie ihn gehabt. So lieb hatte sie ihn immer noch, denn sie hatte ja gesagt, dass das nie zu Ende gehen würde.
Vielleicht hatte Anna gar keine Ahnung, in welches Dunkel sie ihn gestoßen hatte, und manchmal dachte er,
es wäre doch besser gewesen, wenn sie ihn einfach belogen hätte. Ja, er war doch von allem tiefer berührt worden, als er es vor Anna gezeigt hatte. Auch die Zeit wollte diese Wunde in ihm nicht heilen. Ängstlich war er bemüht gewesen, ihr nie mehr zu begegnen, obwohl es ihn manchmal direkt drängte, ihr zu sagen, was sie alles in ihm zerstört hatte. Alle seine Pläne, all seine kühnen Vorhaben waren vergessen. Er fand zu nichts mehr den Mut und die Lust – er war nun ein Mensch ohne Antrieb und ohne Ziel.
Kaum, dass er noch unter die Leute ging. Er war ein Sonderling geworden und grübelte oft stundenlang vor sich hin; und das Sägewerk, das er hatte renovieren wollen, lief im alten Trott mit den veralteten zwei Sägegattern weiter.
Und doch schrie alles in dem Dreißigjährigen nach der Erfüllung des einzigen, großen Wunsches, in einer glücklichen Ehe Kinder zu haben und arbeiten und leben zu dürfen für eine geliebte Frau. Es machte ihn unruhig, wenn er an Anna dachte, und es konnte sich in seine Phantasien einfach kein anderes Frauengesicht einschieben. Immer war es Annas Gesicht, ihr blondes Haar, der herrliche Nacken, ihr Mund, der nicht lügen konnte oder nicht hatte lügen wollen, auch nicht aus Mitleid.
Oft saß er des Abends hier auf diesem Platz und heute hatte es ihn sogar mitten am Vormittag hierher getrieben, weil er von hier aus so gut in den Goldenen Grund sehen konnte, auf das Dach des Hofes unter den blühenden Bäumen. Und oftmals flüsterte er ihren Namen vor sich hin wie eine Bitte und es wurde ihm dann ganz eng um die Kehle.
Auf einmal riss es ihm den Kopf in die Höhe. Aus dem Goldenen Grund hörte er das Läuten von Almglocken. Dann sah er die Herde langsam aus dem Obstbaumgarten herauskommen, nach links abbiegen und sich am Ufer der Riss ihm nähern.
Und die vorausging, das musste Anna sein. Natürlich war es Anna. Es hatte doch sonst keine ein solch leuchtendes Haar, keine war so schlank gewachsen und hatte einen solch stolzen Schritt.
Thomas kroch näher an die Erlenstaude, weil sie ihn nicht sehen sollte. Dort vorn würde sie sowieso über die Brücke gehen. Sie hatte den Kopf ein wenig gesenkt. Die eine Hand hatte sie in den Riemen des Rucksacks eingehakt, in der anderen führte sie den Bergstock.
Thomas fühlte, wie rasend sein Herz bei ihrem Anblick schon wieder hämmerte. Sie betrat die Brücke. Die Herde trottete hinter ihr her. Den Schluss bildete der alte Rauscher mit dem Haflinger vor dem Almkarren.
Anna ging also wieder auf die Alm. Mit weiten, traurigen Augen umfasste er ihre Gestalt und auf einmal spürte er einen Stich im Herzen. Nun waren sie zum großen Teil wieder heimgekehrt, die Burschen des Dorfes Blockstein, außer den zweiundachtzig, die gefallen waren und nie mehr kommen würden, und einem Dutzend anderer, die noch in Sibirien schmachteten. Sie würden wieder über die Berge gehen, so wie früher, und dann einkehren auf den Almen. Auch bei Anna würden sie einkehren. Und es würde ihnen weniger ausmachen als ihm,
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