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Licht vom anderen Ufer

Licht vom anderen Ufer

Titel: Licht vom anderen Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Ernst
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Haflinger wieder einspannen wollen. Wie im Schreck ließ er das Zugscheit niederfallen. Aus seinem Gesicht war alle Farbe gewichen und jede Rücksichtnahme fallen lassend schrie er sie an: »Du, das geht aber nicht. Ich will, dass über jeden Liter Milch Buch geführt wird. Und zwar ganz genau.«
    Anna merkte, wie ihre Hände zitterten. »Und ich kann dir ganz genau sagen, dass ich das nicht tun werde.«
    In seiner Wut riss er die Peitsche vom Wagen. Anna rührte sich nicht vom Fleck, verschränkte nur die Arme über der Brust und sah ihn mit verächtlichem Blick an.
    »Schlag zu, wenn du dich traust.«
    Er getraute sich nicht. Irgendetwas in ihrem Blick schreckte ihn zurück.
    »Du bist nicht nur ein gieriges, sondern auch ein recht trauriges Mannsbild. Ich tät mich bis in den Erdboden hinein schämen, wenn ich du wäre. Wenn dir mein Wirtschaften hier nicht passt, dann schick doch deine Cilli rauf. Die versteht es sicher besser, ein paar Liter Milch für den zehnfachen Preis zu verkaufen.«
    »Ja, sie kann besser wirtschaften als du, das steht fest. Und überhaupt, was erlaubst du dir denn eigentlich? Mir Vorschriften zu machen? Die Cilli ist Bäuerin und du bist die Magd.«
    Dieses Wort traf sie hart. »Das kann man ändern, Bruder, wenn du es willst.«
    Diese Worte ernüchterten ihn und er begann zu rechnen. So eine billige Arbeitskraft bekam er nicht mehr, vorausgesetzt, dass er überhaupt eine Magd bekäme. Wütend hängte er nun den Strang in das Zugscheit und griff nach dem Zügel.
    »Hü, geh weiter, dass wir wegkommen von dem unguten Frauenzimmer.« Den Hut aus der Stirn schiebend, drehte er sich noch mal um: »Behüt dich, du Zwiderwurzen.«
    Anna gab keine Antwort. Starr stand sie da, mit unbewegtem Gesicht, die Lippen schmal, die Augen hart. Nur die Hände, die sie ineinander gelegt hatte, zitterten. Heute war ihr klar geworden, dass es mit dem Bruder kein Zusammenleben geben konnte, wenn der Vater einmal nicht mehr war.
    Und als sie an den Vater dachte, krampfte sich ihr Herz schmerzhaft zusammen. Mit diesem Mann ging es abwärts, er hatte keine Lebenslust mehr, gab sich willenlos den Genüssen hin, die ihm von der Cilli – vielleicht in gar keiner schlechten Absicht – geboten wurden, die aber seinem Organismus nicht gut bekamen. Er war in letzter Zeit so aufgedunsen und seine ehemals gesunde Gesichtsfarbe war fahl. Sein Gang war nicht mehr aufrecht und sein Wille schien gebrochen zu sein, denn sonst wäre es kaum möglich, dass Matthias sich so anmaßend aufspielte und, so wie heute, sogar versucht war, gewalttätig zu werden.
    Anna nahm sich vor, mit dem Vater über all das einmal ganz in Ruhe zu sprechen, wenn er wieder heraufkam.
     
    Peter Rauscher, der Bauer vom Goldenen Grund, kam aber nicht mehr auf seine Alm. Er starb, noch bevor es Winter wurde, und die Leute sagten – weil ja auch der Arzt daraus kein Geheimnis machte –, er habe zu gut gelebt, um noch länger leben zu können. In dieser Zeit, in der andere noch hungerten, war dies wie eine Anklage, die sich aber weniger gegen den Toten richtete, als gegen das Schmalreh an der Seite des jungen Rauscher, die heute einen kurz gesteckten Schleier vor dem Gesicht trug, der vielleicht nur eine Handbreit länger war als der weiße seinerzeit zu ihrer Hochzeit.
     
    Von dem Verstorbenen wusste man, dass er immer ein Herz für die Armen gehabt hatte. Und wer es nicht gewusst hätte, dem sagte es der Pfarrer Krandl am offenen Grab, der dem Toten ein Porträt malte, wie es nur die Wahrheit malen konnte, die nichts Verschleierndes duldete. Die Cilli fuhr sich mit einem weißen Spitzentüchlein unter den Schleier, Matthias hatte den Kopf tief gesenkt und die Stirn in schwere Furchen gelegt. Nur Anna stand ganz aufrecht und hob keine Hand, um die Tränen wegzuwischen, die ihr über die Wangen liefen.
     
    Vierzehn Tage später fuhren die Geschwister in die Kreisstadt zum Nachlassgericht, wo ihnen eröffnet wurde, dass der Verstorbene ein Testament hinterlassen habe, bei dem Matthias mehr als einmal die Farbe aus dem Gesicht wich.
    Demnach hatte er seiner Schwester Anna dreißigtausend Mark auszuzahlen. Zweitens sollte Anna, falls sie nicht zu heiraten gedenke, im Grundhof ein Zimmer zugeteilt erhalten und lebenslanges Wohnrecht auf dem Hof haben. Sollte sie einmal arbeitsunfähig werden, so habe Matthias für seine Schwester zu sorgen bis zu ihrem Tod. Dies habe er auch seinem eventuellen Nachfolger zur Auflage zu machen.
    Auf der Heimfahrt sprachen

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