Licht
Nächte zusammen verbracht, die wir uns nicht auszudenken brauchten, die kein Mensch sich hätte ausdenken können, gleichgültig wo wir waren, auf einem Heuweg oder in Chicago. Wir bewegten uns in der Landschaft als gehöre sie uns. Sie gehörte uns, solang wir kein Grundstück besaßen. Wir wollen keine Häuser baun, sagte Dole.
Wir entdeckten Schlösser, die zu verkaufen waren, Bruchsteinkästen mit hängenden Läden, gelockerten Supraporten, Einsturzgefahr. Wir wateten über laubverschwemmte Terrassen, Alleen und Teiche übermodert von Laub. Unter Platanen eine Orangerie, die Brettertür sprang ohne Widerstand auf. Winterkalte Säle, Reste von farbigem Glas in den Fensterbogen, regenfleckiger Stuck über Möbeln und Kutschen. Puttenköpfe, Marderfallen und Hundehütten aus dem Biedermeier – was für Gerümpel wir wegschleppen könnten! Es gab Schlösser, die in der Landwirtschaft verwendet wurden, Kartoffeln, Stroh und Spaltholz im Salon, Treppenhäuser voll Vieh, zerstampftes Parkett. Kühe widerkäuten vor blinden Spiegeln und Ziegen fraßen Heu aus dem Cheminee. Zerschlagene Fässer im Kellergewölbe, ruinierte Heizungen, Rattenrennbahn, Taxushecken, die nicht mehr beschnitten wurden und Dole mit weichen, fettigen Zweigen streiften. Wenn wir ein Schloß besäßen, sagte Dole, ob wir damit was anfangen könnten? Wir hätten auf einmal Schulden und viele Freunde. Stell dir mal vor, wer alles käme, in dicken Wagen oder per autostop, die Freunde der Freunde und ihre Bekannten, die Freunde der Bekannten und ihre Geliebten, die Neffen der Geliebten und ihre Töchter, die Freundinnen der Töchter und ihre Verehrer und die Schwestern der Verehrer mit ihren Verehrern. Der Sommer wäre eine einzige Party. Wir würden Wildschweine auf der Terrasse braten und durch die leeren Säle tanzen, weitschweifige ölige Tangos, du weißt schon. Wir würden uns eine starke Matratze besorgen und zwischen Rattenfallen auf dem Fußboden schlafen. Und wir könnten die Nächte unter Bäumen verbringen, falls es dort keine Stechmücken gibt. Und im Winter, was macht man im Winter in solchen Kästen? Wir könnten mit allem was anfangen, sagte Dole.
Wir gingen durch die Hochhausviertel an der Autobahn und liefen um die verqualmten Müllplätze am Stadtrand. Wir entdeckten Ziegeleien der Jahrhundertwende, Schrebergärten, Autofriedhöfe und Kohlenlager an der Peripherie. Wir kamen an kaputten Wohnbaracken vorbei und stellten uns vor, wie die Arbeiter dort mit ihren Familien gelebt hatten und wie sie noch heute in solchen Baracken lebten. Wir entdeckten Zigeunerlager und Campingplätze, alte Pferdewege neben neuen Chausseen (Schafherden pladderten über das Kopfsteinpflaster). Vor geschlossenen Bahnschranken standen wir auf der Straße und wetteten, wann welcher Zug mit wie vielen Wagen käme – ein D-Zug aus Wien? der Schnellzug Hamburg – Paris? Es kamen Triebwagen, Zementzüge und einzelne Lokomotiven, Arm in Arm verloren wir jede Wette. Alle unsere Züge, sagte Dole, Hamburg – Mailand und Warschau – Paris, die vielen Abschiede auf wie vielen Bahnhöfen, die endlosen Winternächte im Zugabteil, von dir weg oder zu dir hin. Aber jetzt geht es uns gut, das ist unvergleichlich. Wir sind zusammen, so oft wir wollen, wir dürfen das gar nicht sagen: wie gut es uns geht. Unmöglich, herumzuposaunen, daß wir glückliche Leute sind im Vergleich zu anderen. Aber ein Zufall ist das nicht, wir sind keine Glückspilze. Der Wille zu etwas Haltbarem hat mit Glück nichts zu tun. Es kommt mir so egoistisch vor, daß ich glücklich sein kann, ohne Grund, oft besinnungslos glücklich. Ist das Egoismus? Sind wir Egoisten?
Wir gingen durch Januartage ohne Schnee, das Sausen des Föhn war ein Bestandteil der Stille, trockenes, langsames Stübern im Nadelholz und Luftwirbel über plattgetretenem Laub. Schön war der frisch gefallene Schnee am Morgen, wenn man als erster eine Spur hinterließ. Es war atemberaubend, durch frischen Schnee zu gehn, den Schnee mit der Schuhspitze aufzureißen und im leichten, sauberen, flirrenden Weiß zu stehn. Wir standen im Schnee, sahen Weiß und hörten nichts, so eine Stille gab es nur im Traum, viel weniger im Traum als im frischen Schnee, viel mehr im frischen Schnee als in jedem Schlaf. Dreispitzspuren zu Fuß gehender Krähen, wo sind denn die Raben, fragte Dole, im Winter auf dem Land sind doch Krähen und Raben, ich sehe bloß immer die Krähen, nie die Raben. Und kannst du feststellen, auf welche Weise
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