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Licht

Licht

Titel: Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Meckel
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wachten ohne Unruhe auf. Wir frühstückten spät und viel zu lang und ließen den Tag bis gegen Mittag warten.
    Der Bungalow ist zu groß für eine Person. Kalte lautlose Dunkelheit. Im Sommer gab es die Geräusche der Vögel und offene Fenster in einer warmen Nacht.
    Die Unruhe hat sich verflüchtigt. Keine Eifersucht. Verschwunden ist alle Betäubung, die Hirn und Haut vernebelte seit der Entdeckung des Briefs (er liegt im Koffer, ich habe ihn nicht mehr gelesen). Mit dem Alleinsein kommt die Ruhe zurück. Der Tag unterscheidet sich wieder von Abend und Nacht.
    Dole macht heute abend ein Interview in Brüssel, ich habe vergessen, um wen es sich handelt (wiedermal eine Persönlichkeit, sagt sie), war auch nie dabei, wenn sie beruflich auftrat, kann mir aber vorstellen, wie sie das macht; ihr Erscheinen auf Partys gibt einen Eindruck. Sie erscheint ganz gegenwärtig, kühl und unbeeinflußbar, als sei sie geboren für das Parkett, eine trainierte Journalistin. Ihre Erscheinung ist elegant, Privates wird nicht spürbar, ihr Charme ist kontrolliert, ihr Auftreten lässig. Sie hat sich vorbereitet, kennt ihren Partner aus allen verfügbaren Unterlagen, weiß was sie zu fragen hat, und kann ihre Notizen am folgenden Tag noch entziffern. Verhandlungstische, Chefetagen, Fremdsprachen, Hotelhallen und Konversation mit Persönlichkeitsmasken – das alles schüchtert sie nicht ein. Die Wichtigkeit anderer Leute berührt sie nicht. Manchmal kommt sie sehr müde davon zurück, aber die Müdigkeit ist überwindbar, nach einer Stunde können wir wieder lachen. Sie fühlt sich keinem Menschen überlegen und sie kommt sich weder schwach noch langweilig vor. Sie weiß, was sie will und sie weiß, was sie kann, sie setzt ihre Kräfte sicher ein. Trotzdem bin ich auch bloß eine Fassade, sagt sie, Natürlichkeit kann ich mir nicht leisten, schon aus Selbstschutz rede ich kein Wort zuviel, das verspreche ich dir, ich rede kein persönliches Wort. Du sollst mich mal sehn zwischen diesen Gesellschaftszigarren – ich bin enorm! Aber hochmütig bin ich nicht. Sag mir, daß ich nicht hochmütig bin. Und ich weiß was ich mir keinesfalls zumuten kann: Auftritt im Pelzmantel, Betrunkenheit auf einem Barhocker, ungeklärte Einladungen zum Dinner und die üblichen eschatologischen Unterhaltungen über Handel, Wandel, Affairen und Honorar. Wenn ich mal eingeladen werde – warum nicht. Es kommt darauf an, ob der Mensch mir sympathisch ist. Es kommt schon mal vor, daß mir einer sympathisch ist, nicht so wahnsinnig wichtig im Umgang mit sich selbst, aber humorvoll oder wenigstens sachlich. Das habe ich immer mehr schätzen gelernt: Sachlichkeit im Beruf und Humor drumherum. Ein echts Lachen ist fast eine Sensation. Die Kollegen von der Presse sind ja ziemliche Pudel, eigentlich trostlos mit ihren Modefrisuren, immer das richtige Wort im Bart, garantiert international – und die andern, die Leute, mit denen wir es zu tun haben! Flotte Pokernasen aus einer jungen Branche, eingekniffene Bäuche, Zweizehntelprominenz, läufig auf Spesenrechnung, pressehörig, öffentlichkeitsbewußt, sonore Trompeten im Abendanzug. Aber bevor ich mich über sie ärgere, finde ich sie lieber komisch, davon haben alle Beteiligten mehr. Daß sie als Herren bezeichnet werden, das ist doch ein Witz, und daß sie überzeugt sind, welche zu sein. Weißt du, was das ist: ein Herr? Ich weiß es nicht. Einen richtigen Mann erkenne ich sofort, und ein Mensch ist mir lieber als ein richtiger Mann. Am liebsten ist mir ein ganz gewöhnlicher Mensch.
    Bis zu diesem Punkt ist mir Dole vertraut. Was geschieht danach? Sie hat das Interview in Brüssel beendet und fährt noch in derselben Nacht mit dem D-Zug nach Paris. Gare du Nord, dort wird sie aufgefangen, sie ist jetzt müde und braucht schwarzen Kaffee, wird dann im Taxi in das Hotel gebracht (vielleicht ist eine gemeinsame Wohnung da). Sie verbringt ein paar unvergleichliche Tage in ihrer Stadt, und es ist der Freund, der ihr diese Tage ermöglicht (Liebhaber ist nicht das passende Wort für ihn). Es ist schon allerhand, daß mich diese Vorstellung nicht beunruhigt. Das ist zum erstenmal seit dem Brief der Fall. Leidenschaften sind mir verständlicher als Affairen (kein Mensch, der liebt, hat von Leben und Tod genug). Seit ich weiß, daß sie liebt, ist Dole mir wieder vertraut. Ich sammle keine Enttäuschungen mehr. Zwei Leben sind ihr möglich zu gleicher Zeit, das ist eine Tatsache. Dole braucht von mir nicht verteidigt

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