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Licht

Licht

Titel: Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Meckel
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geht das nicht. Indianersommer, abnehmendes Licht, Michaelistage aus Milch und Silber, der Herbst machte sorglos und war die beste Zeit, er war schon immer die beste Zeit gewesen. Wir kamen nachmittags in eine Stadt, brachten die Koffer in ein Hotel, duschten heiß und kalt und wechselten Kleider, tranken Gintonic in einer leeren Bar und blieben, solange es hell war, auf den Straßen. In den Nächten trieben wir uns herum. Wir tranken und tanzten in verschiedenen Bars, die Hollywood, Big Beat oder Popcorn hießen, warum eigentlich Popcorn, sagte Dole, nach dem Sinn solcher Namen darf man gar nicht fragen. Dole liebte Rock ’n’ Roll und Tango, vor allem Tango. Tango war überhaupt der Höhepunkt. Man schmierte im Schleifschritt über die Diele, erstarrte nach elegantem Schwung zur Sphinx und kullerte unverschämt mit den Augen. Danach war es schön, zwischen schwitzenden Leuten zu sitzen und kaltes Bier in sich hineinzuschütten. Man kokettierte wie Lilith mit dem Teufel und schwärmte für die raffinierte Barbeleuchtung. Ich bin unbedingt für Rosa, sagte Dole, Rosa ist noch eindrucksvoller als Ostergrasgrün und bedeutet Frivolität in Ekstase, das habe ich im Lexikon gelesen, Rosa ist die Farbe des Glücks und der Zukunft. Wir saßen in Plüsch und verqualmtem Rosa und unsere Schultern berührten sich. Als hätten wir uns heute kennengelernt (sagte Dole). Ich kann mich immer wieder in dich verlieben, verliebst du dich auch mal wieder in mich? Bist du mal wieder verliebt gewesen? Sag, daß du in mich verliebt bist. Sei kopflos und küß mich!
    Manche Orte kannten wir nur bei Nacht, Städte im Industriegebiet und Nester im Winkel mit Kurpromenade am See. Nachts wußten wir manchmal nicht, wo wir waren und hatten uns das Hotel nicht gemerkt. Wir hatten hier nichts verloren und nichts zu tun, keine beruflichen Umstände, weder Termine noch Reportagen. Sorglosigkeit und Geheimnis, sagte Dole, kein Mensch wird erfahren, wo wir sind! Wir gingen durch Mitternachtsstädte voll umgekippter Mülltonnen, wenn leere Taxis langsam vorüberfuhren, Kinoreklamen gewechselt wurden und Rockerbanden durch die Bahnhöfe stiefelten. Warme Nächte mit Festival-Flutlicht und Tschatschatscha; die Straßen rochen nach Kaffee und Urin, die Restaurants waren leer, die Bars überfüllt, wir trödelten im Schatten der Bäume und wünschten nichts. Vielleicht sind wir zum ersten und letzten Mal hier, sagte Dole, was hast du lieber: einmal hier sein oder wiederkommen? Und hast du mal mit einer Hure geschlafen? Ich kann mir nicht denken, daß du das nie gemacht hast. Wenn ein Mann unterwegs ist, allein in der Nacht, womöglich in einer Stadt, die er nicht kennt, und er sieht die Liebespaare in den Parks und die vielen Frauen – das muß ihn doch verrückt machen. Soviel Schönheit ist unerträglich, wenn man allein ist. Ich möchte in solchen Nächten nicht allein sein.
    Aber am liebsten bin ich nachts auf dem Land (sagte Dole). Die Saison ist vorbei, die Hotels stehn leer, und wir schlafen in einem Zimmer mit Bäumen vorm Fenster. Ich möchte immer Bäume vorm Fenster haben, Kastanien, Platanen. Man atmet unwillkürlich leichter, hat wieder Vertrauen in die Luft. Mir haben Bäume immer gut getan, zum Beispiel auf einer Party, wo sich sehr leicht das Gefühl einstellt, ein Leben lang von den falschen Leuten umgeben zu sein. Wenn ich dann aus dem Gerede heraus kann, eine Weile unter Bäumen allein bin, weiß ich wieder was stimmt und bin unschlagbar. Häuser ohne Bäume sind nicht bewohnbar, für mich ganz wertlos. Wenn ich ein Haus besäße, wäre es von Akazien und Pappeln umgeben. In der Stadt ist das natürlich was anderes, aber ich frage mich oft, wie du es in deinem Hochhaus aushältst. Hast du nicht manchmal Hunger nach sauberer Luft, nach Blättern, Heuduft, Fischgeruch, Landwind? Kommst du deshalb so gern in meine Wohnung, weil die Bäume an das Fenster reichen?
    Wir saßen am offenen Fenster und tranken Wein. Was die Dunkelheit den Augen vorenthielt, überließ sie dem Gehör und der Vorstellungskraft. In der nächtlichen Landschaft war jedes Geräusch vernehmbar, ein Hundegebell auf der Mole, ein Motorrad in der Bergkurve, ein vereinzelter Flügelschlag zwischen den Blättern. Der Regen sickerte von den Bäumen, und es spielte keine Rolle, ob wir schliefen oder schlaflos umarmt lagen. Die Dunkelheit eines unvertrauten Zimmers hatte nichts Quälendes und die Schlaflosigkeit ermüdete nicht. Wir schliefen gegen Morgen im Regen ein und

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