Lichterfest
Schwein!«, stieß sie mit erstickter Stimme hervor und ihre Lippen bewegten sich zitternd, als suchten sie weitere Schimpfwörter, die sie jedoch nicht fanden. Stattdessen fuhr Antonia sich mit einer hilflosen Geste durchs Haar. Dann begann sie erneut zu weinen.
Der Vorplatz des Wohnhauses, in dem meine Eltern lebten, war mit einem auffälligen Kreidegemälde verziert. Rangoli hießen diese symmetrischen Muster aus farbenfrohen Blumenmotiven, die meist Lotusblüten zeigten und traditionellerweise zu Diwali auf den Boden gemalt wurden, um Besucher willkommen zu heißen. Kerzen, die vom Wind geschützt in bunten Gläsern flackerten, umrahmten das Kunstwerk. Auch das Treppenhaus war geschmückt, überall Lichterketten und Öllämpchen, die jedoch noch nicht entzündet waren, da das Fest erst morgen begann. Sie waren dazu gedacht, Lakshmi, der Göttin des Wohlstandes, den Weg ins Haus zu weisen, die Türen blieben daher alle unverschlossen. Meine Mutter baute jedes Jahr einen kleinen Altar auf, den sie mit all den weltlichen Dingen schmückte, die sie sich im kommenden Jahr erhoffte. Meist waren das Geldscheine, manchmal aber auch Fotos von Gegenständen, die sie gerne besitzen würde, sei es Schmuck oder eine teure Küchenmaschine. Einen Flachbildfernseher für meinen Vater hatte ich darunter auch schon entdeckt sowie einen kleinen Transporter fürs Geschäft, bei dem die Göttin wohl mit ungeahnten Lieferschwierigkeiten zu kämpfen hatte. Vor diesem kosmischen Wunschzettel platzierte meine Mutter dann jeweils feierlich ihr Geschäftsbuch und betete inbrünstig für bessere Einnahmen. Das war das Praktische am Hinduismus: Große Sagen und religiöse Feste wurden auf eine volksnahe, manchmal etwas profane Ebene herunterdekliniert, sodass sich jeder etwas davon versprechen konnte. Bei der damit verbundenen Kommerzialisierung stand man den Christen jedoch in nichts nach.
Als ich das Wohnzimmer betrat, traute ich meinen Augen nicht: Meine Mutter und Auntie Bahula saßen nebeneinander auf dem Sofa und, anstatt zu streiten, kicherten sie wie kleine Mädchen, während sie die Glückwunschkarten lasen, die wie jedes Jahr stapelweise aus Indien eingetroffen waren. Auf dem Tisch vor den Frauen häuften sich Süßigkeiten und getrocknete Früchte in Schalen, aus denen sie sich unablässig bedienten, während sie sich gegenseitig, von schrillen Ausrufen der Bewunderung begleitet, die schönsten Kartenmotive zeigten. Ich verkniff mir die Bemerkung, die mir auf der Zunge brannte. Diwali mit seinen mannigfaltigen Bedeutungen war nicht zuletzt auch das Fest der Versöhnung.
»Wo ist Manju?«, fragte ich, doch die beiden Frauen beachteten mich nicht, zu sehr waren sie damit beschäftigt, ihre neu gewonnene Freundschaft zu zelebrieren. Ich sah mich nach meinem Vater um, der wie immer in seinem Sessel vor dem Fernseher versank. Der Apparat lief halblaut. Der Satellitenschüssel sei Dank wurde ein Kricketspiel gezeigt, er selbst hatte sich in die Times of India vertieft. Neben ihm auf einem Tischchen standen eine Flasche Amrut und ein halb volles Glas. Der untrügliche Beweis dafür, dass gewisse Vorlieben genetisch vererbbar waren. Als ich meine Frage etwas lauter wiederholte, deutete er, ohne die Zeitung zu senken, Richtung Küche.
Der Duft von frischem Koriander schlug mir entgegen, als ich die Tür öffnete. Auf einem Schneidebrett wartete das gehackte Kraut zusammen mit fein geschnittenem Ingwer und Chilischoten auf seinen Einsatz, während auf dem Herd eine gelbliche Suppe köchelte. Manju beugte sich konzentriert über die aufgeschlagene Zeitung auf dem Küchentisch. Mit einem Kugelschreiber zog sie Kreise um Textstellen, die sich bei näherer Betrachtung als Inserate herausstellten. Sie hob nur kurz den Kopf, als ich mich räusperte, dann widmete sie sich wieder ihrer Lektüre, wobei sich die Haut ihrer Wangen für einen kurzen Augenblick über den Kieferknochen spannte.
»Du ziehst aus?«
Sie antwortete nicht sofort, sondern gab vor, in die Lektüre der Anzeigen vertieft zu sein, bevor sie langsam aufblickte.
»Auntie Bahula wird mein Zimmer übernehmen.«
»Soll ich dir helfen?«
»Ich schaff das alleine.«
»In Zürich musst du Leute kennen, wenn du eine billige Wohnung finden willst. Sonst kannst du das vergessen.«
»Ich kenne Leute.«
Ich schwieg einen Moment und unsere Blicke trafen sich. Sie wirkte bestimmt und mit einem Mal viel erwachsener.
»Ich habe mich für einen Deutschkurs angemeldet. Bis auf
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