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Lichterfest

Lichterfest

Titel: Lichterfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sunil Mann
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ständig sah sie sich um, als halte sie nach einem Fluchtweg Ausschau. Einmal glaubte ich sogar, sie wolle umkehren, als sie ein paar Schritte zurückfiel, doch als ich nach ihr sah, holte sie schnell auf.
    Abrupt blieb Dr. Biasi stehen und stieß mit einem nichtssagenden Lächeln eine gläserne Durchgangstür auf. »Immer geradeaus, letzte Tür rechts.«
    »Danke.« Ich schlüpfte an ihm vorbei, nicht ohne den Bauch einzuziehen. Von wegen BMI und so.
    »Nicht zu lange«, mahnte er uns, bevor er auf dem Absatz kehrtmachte und durch den Korridor zurückmarschierte.
    Im Gang herrschte eine gespenstische Stille. Sofort beschlich mich ein mulmiges Gefühl. Ein Blick zu Antonia bezeugte, dass es ihr genau gleich ging. Angespannt fixierte sie die Tür und ging mit kleinen, hastigen Schritten auf sie zu. Sie hatte sogar aufgehört, ihren Kaugummi zu bearbeiten.
    Kein Wort fiel, bis wir vor dem besagten Zimmer standen. Ich klopfte kurz an, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten, und trat ein.
    Die Jalousien waren schräg gestellt, Herbstlicht drang in den Raum und malte fahle Streifen auf den Boden und das Bett, in dem Fernando reglos lag. Ein bunter Blumenstrauß stand in einer rauchfarbenen Vase auf dem Nachttisch, daran angelehnt eine zuversichtlich anmutende Pralinenschachtel. Eine Vielzahl von Apparaturen hing an der Wand daneben, auf dunklen Bildschirmen kommentierten gleichmäßig verlaufende Kurven in verschiedenen Farben den Zustand des Patienten. Plastikschläuche führten in seine Nasenlöcher und unter das leichte Laken, mit dem er zugedeckt war, der Kopf war einbandagiert, im linken Arm steckte eine Infusion. Ein halb voller Urinbeutel hing am Bettrahmen. Fernando sah blass aus und abgemagert, nur wenig erinnerte an den atemlos in die Bar hereinstürzenden Jungen, den ich vor knapp einer Woche zum ersten Mal gesehen hatte.
    Ein Wimmern unterdrückend eilte Antonia zu ihm hin und setzte sich auf die Bettkante. Behutsam hielt sie seine Hand und streichelte mit dem Daumen darüber, während ihr die Tränen übers Gesicht liefen. Erst jetzt begriff ich, dass sie ihn wohl noch nie besucht hatte, so sehr musste sie sich vor dem Anblick ihres bewusstlosen Bruders geängstigt haben.
    Den drei Besuchern, die an der Wand auf Stühlen saßen, hatte Antonia keine Beachtung geschenkt. Ich nickte ihnen stumm zu, worauf zwei der Männer meinen Gruß erwiderten, und ging an ihnen vorbei. Noch ehe ich Fernandos Bett erreicht hatte, durchlief mich ein eiskalter Schauer und ruckartig wandte ich mich um.
    Erst jetzt bemerkte ich, dass die beiden, die gegrüßt hatten, Uniformen trugen. Das Gesicht des dritten, der zusammengesunken zwischen ihnen saß und mit einer Kapuzenjacke und einer weiten Jeans bekleidet war, erkannte ich erst in dem Moment, als er, durch meine jähe Bewegung aufgeschreckt, den Kopf hob. Er sah elend aus, doch ich ließ mich davon nicht täuschen. Ich wusste, wozu er im Verbund mit seinen Kumpels fähig war, ich hatte es selbst miterlebt. Großgewachsen und pummelig, wie er war, wirkte er bei Tageslicht noch jünger als am Samstagabend am Escher-Wyss-Platz.
    Stumm schauten wir uns an. Aus dem Nebenraum war gedämpft das regelmäßige Zischen einer Beatmungsmaschine zu vernehmen. Dann sah der Junge lange zu Fernando hinüber, bevor er reuevoll den Blick senkte. Wenigstens einer von dreien, dachte ich.
    Ich trat zu Antonia und legte ihr sanft die Hand auf die Schulter.
    »Meine Mutter sagt, die Ärzte seien zuversichtlich«, stam melte sie.
    Ich nickte, da ich nicht wusste, was ich hätte erwidern sollen. Solche Situationen machten mich stets sprachlos.
    »Er ging mir immer voll auf die Nerven, aber jetzt, wo er nicht mehr da ist …« Sie sah mich verzweifelt an.
    »Lass uns gehen.«
    Zärtlich streichelte sie zum Abschied Fernandos Arm, dann folgte sie mir in den Korridor hinaus.
    »Wer waren die Männer?«, fragte sie, als wir die Eingangshalle des Spitals durchquerten.
    Ich umging eine Antwort, indem ich umständlich eine Zigarette aus der Packung klaubte, doch unter der Eingangstür blieb sie abrupt stehen und sah mich mit einem derart wilden Blick an, dass ich froh war, mit ihr schon draußen zu sein. Sie drehte auf dem Absatz um und rannte zurück.
    Fluchend schnippte ich die Zigarette weg und spurtete ihr hinterher. Ich erwischte sie auf dem untersten Treppenabsatz. Sie wehrte sich und schlug um sich, doch ich hielt sie fest, bis ihre Kräfte nachließen und sie sich allmählich beruhigte.
    »So ein

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