Lichterfest
hinsichtlich der Brisanz dieser Bilder in die Irre geführt hatte. Doch bei genauer Betrachtung enthüllte sich, dass Graf keineswegs allein in der Casa Aurelio gespeist hatte. Im Türbogen waren, je nach Aufnahme etwas undeutlich, der Verleger Blanchard und seine Frau zu sehen, die gerade das Restaurant verließen, direkt vor ihm aber stand, einen Stapel Unterlagen in der einen Hand, die Stararchitektin Joswitha Moor, von welcher der kurze, aber für den Fall entscheidende Bildbericht in der Zeitung gehandelt hatte. Daneben ihr Mann, der Anwalt Paul Nyffenegger. Selbst auf den kopierten Bildern war mit etwas Anstrengung zu entziffern, was auf dem obersten Deckblatt des Dokumentenstapels stand: Öffentliche Urkunde. Kaufvertrag, hieß es weiter unten, was eine sechsstellige Summe auf der nächsten Zeile bekräftigte. Den Rest konnte ich mir angesichts der illustren Runde zusammenreimen: Walter Grafs Firma Swiss Living verkaufte Immobilien an Paul Nyffenegger.
»Er hat mich hintergangen.« Kraftlos ließ sich Alice Graf auf die schmale Sitzfläche sinken, die zur Garderobe gehörte. Miranda, die mit José auf der Treppe ausgeharrt hatte, kam unverzüglich herunter, setzte sich zu ihr und kramte eines ihrer Fläschchen aus der goldenen Handtasche, welches Frau Graf dankend annahm und in einem Zug leerte.
»Wäre Ihr Mann Stadtpräsident geworden, hätten Sie selbst dafür gesorgt, dass die Liegenschaften im Besitz der Swiss Living weder abgerissen noch zu teuren Loftwohnungen umgebaut werden, damit die bisherigen Mieter weiterhin zu vernünftigen Preisen dort leben können.«
Tränen liefen Alice Graf übers Gesicht, doch sie wischte sie nicht weg, sondern sah mich unverwandt an. Miranda kramte ein Taschentuch hervor und reichte es ihr.
»Doch Sie hatten nicht mit dem politischen Ehrgeiz Ihres Mannes gerechnet. Die Schmach über die Niederlage bei den letzten Wahlen saß tief. Als dann der Verleger Blanchard mit einem äußerst verlockenden Angebot auf ihn zukam, konnte er einfach nicht ablehnen. Blanchard bot ihm nämlich an, sein angeschlagenes Image in der Öffentlichkeit aufzupolieren. Im Gegenzug forderte er die Hälfte der Anteile an Swiss Living. Walter Graf ging darauf ein, und in der Folge leistete Blanchards Medienimperium ganze Arbeit: Fernsehen und Radio, Illustrierte, Zeitungen und Magazine berichteten geradezu euphorisch über Graf. Mit einem Mal war er in aller Munde und hätte zweifelsohne die Wahlen für sich entschieden. Doch Blanchard wusste auch, dass die Immobilien zwar viel wert waren, richtig fett Kohle abwerfen würden sie aber erst, wenn man sie als Luxuswohnungen weitervermietete. Was nicht möglich war, solange Graf die Mehrheit der Anteile besaß. Das war der Grund, weshalb er die beste Freundin seiner Frau bat, sich darum zu kümmern: Joswitha Moor war erfahren in solchen Dingen. Sie brachte ihren Mann Paul Nyffenegger mit an Bord und schon bald ging es darum, die andere Hälfte der Swiss Living aufzukaufen, um daraus Profit zu schlagen. Ich nehme an, Ihr Mann hat sich zuerst gegen den Deal gesträubt, er wusste ja, wie viel Ihnen die Stiftung bedeutete. Mit den einundfünfzig Prozent, die er noch besaß, wären Blanchard die Hände gebunden gewesen. Doch Nyffenegger, der begierig war, immer weitere Liegenschaften aufzukaufen, die seine Frau dann gewinnbringend renovierte oder umbaute, überredete ihn wohl mit einer großzügigen Parteispende, dass er nicht anders konnte.
Keine Ahnung, wie er Ihnen die Änderung im Plan hatte mitteilen wollen. Wann er vorgehabt hatte, Ihnen zu gestehen, dass er Sie derart hintergangen hatte. Vielleicht hatte er gehofft, sein Sieg würde Sie milde stimmen, ich weiß es nicht.
Es war Nyffenegger, der laut Blanchard Druck machte, das Geschäft noch vor den Wahlen über die Bühne zu bringen. Er traute Ihrem Mann und Politikern im Allgemeinen nicht und zweifelte daran, dass Ihr Mann sein Versprechen nach einem Wahlsieg halten würde. Natürlich musste alles unter größter Geheimhaltung ablaufen, ansonsten wäre Grafs Glaubwürdigkeit vehement infrage gestellt worden. Da er sich stets für billigen Wohnraum in der Stadt eingesetzt hatte, wäre er nicht gewählt worden. Deshalb traf man sich in einem verschwiegenen Lokal an der Langstrasse, wo weder Medien noch andere Politiker dauerpräsent sind, und unterzeichnete heimlich die Verträge.
Was die Runde natürlich nicht ahnen konnte, war, dass jemand, dessen Identität ich bislang leider nicht enthüllen
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