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Lichterfest

Lichterfest

Titel: Lichterfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sunil Mann
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reden, worauf er höhnisch auflachte. Ich solle es doch versuchen, ich würde ja wissen, dass die alle genauso tickten wie er. Da hatte er zweifelsfrei recht. Meine Stiftung sei ohnehin naive Träumerei, spottete er, naive Kleinmädchenträumerei. Genau so nannte er sie: Kleinmädchenträumerei. Der Gang der Welt da draußen sei knallhart, da hätten solch gutmenschlerischen Projekte keine Überlebenschancen. Ich solle endlich aufwachen.
    In dem Moment hätte ich ihn am liebsten geohrfeigt. Ich schrie ihn an, dass ich jetzt auf der Stelle Martin Schluep anrufen würde, und rannte die Treppe hoch. Er stieg mir nach und wollte mich zurückhalten. Erst als ich beinahe oben war, bekam er mich am Ärmel zu fassen, doch ich riss mich los und wandte mich zu ihm um. Er kam näher, obwohl ich ihn anschrie, er stand jetzt auf dem obersten Treppenabsatz und packte mich grob an der Schulter. Ich war außer mir vor Wut und habe ihn abgewehrt. Es kann gut sein, dass ich ihn dabei vor die Brust gestoßen habe, ich weiß es nicht mehr, vielleicht hat er auch von allein das Gleichgewicht verloren. Jedenfalls riss er die Hände in die Höhe und ruderte mit den Armen, dann stürzte er rückwärts die Treppe hinunter. Ich glaube, er war auf der Stelle tot.«
    Betroffenes Schweigen machte sich breit. José starrte zu Boden, während Miranda geräuschlos das mittlerweile leere Fläschchen zuschraubte und es in ihrer Handtasche verstaute. Alice Graf hatte den Blick nicht abgewendet, immer noch sah sie mich an.
    »Woher wussten Sie, dass ich es gewesen bin?«, fragte sie leise.
    »Nun ja, Miranda, die junge Dame, die neben Ihnen sitzt, hat mich mit der Bemerkung zu Ihrem Kleid, das Sie am Montag trugen, auf die Lösung gebracht. Denn am Morgen bei der Kindergarteneröffnung hatten Sie ein blaues Deuxpièces an, auf den Polizeifotos dann aber ein sandfarbenes Kleid und gelbe Sandalen. Daraus schloss ich, dass Sie sich umgezogen haben mussten. Ich fragte mich aber die ganze Zeit weshalb, schließlich kamen Sie nach eigenen Angaben nach Hause und fanden Ihren Mann tot auf. Da wechselt man nicht erst mal die Garderobe. Mir fehlte einfach ein schlüssiges Tatmotiv. So wie es aussah, unterstützten Sie Ihren Mann mit vollem Einsatz bei seiner Kandidatur. Sie schienen auch an ihm zu hängen, da passte ein Mord überhaupt nicht ins Bild. Erst als ich Joswitha Moors Foto per Zufall in der Zeitung entdeckte, erinnerte ich mich daran, dass ich ihr Gesicht auch auf den belastenden Bildern vor der Casa Aurelio gesehen hatte. Die Aufnahmen erhielten mit einem Mal eine ganz neue Dimension.
    Die Schlussfolgerung lag danach auf der Hand: Ihr Mann hatte die Immobilien, die Ihrer sozialen Stiftung gehörten, kaltblütig verkauft. Damit hatte ich auch das Mordmotiv gefunden.«
    Alice Graf nickte, als wäre damit für sie etwas endgültig abgeschlossen.
    »Ich bin noch nicht fertig«, wandte ich ein, was Miranda mit einem demonstrativen Gähnen kommentierte. »Natürlich wollten Sie Ihrem Mann unverzüglich helfen, als er so aufgespießt dahing, dabei haben Sie sich auch das Kleid blutig gemacht. Der Schock erfasste Sie erst später, als Sie realisierten, dass er tot war und dass es wahrscheinlich Ihre Schuld war. Ich nehme an, Sie saßen apathisch auf der Treppe, als Martin Schluep zurückkehrte. Ohne die Bilder, aber das kümmerte Sie in dem Moment überhaupt nicht mehr. Schnell verschaffte er sich einen Überblick, dann überzeugte er Sie davon, dass es klüger wäre, einen Einbruch zu fingieren. Natürlich hatte er dabei nichts anderes als seine eigene Karriere im Kopf, die zweifelsohne gelitten hätte, wäre bekannt geworden, dass seine Mentorin seinen Mentor umgebracht hat. Ich nehme an, das wussten Sie auch. Andererseits waren Sie unter den gegebenen Umständen froh, dass Schluep so zielstrebig die Initiative ergriff. Sie befolgten seinen Rat und kleideten sich in aller Eile um, dabei griffen Sie wahllos in Ihren Schrank, weshalb auf den Polizeifotos auch nichts zusammenpasste. Das blutige Kostüm knüllten Sie zusammen und verstauten es in der Handtasche, diese wiederum hängten Sie an die Garderobe, um sie später mitzunehmen und zu entsorgen.
    Schluep hatte mittlerweile die Alarmanlage ausgeschaltet und ein Loch in die Scheibe geschlagen. Jetzt lösten Sie gemeinsam das Bild aus dem Rahmen und versteckten es …« Ich ging zum Flügel, der nur wenige Schritte von mir entfernt stand, hob den Deckel an und warf einen Blick hinein. »… nicht

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