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Lichterfest

Lichterfest

Titel: Lichterfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sunil Mann
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mit Schnurrbart, etwas weiter entfernt im Kreis standen und leise diskutierten. Wäre es erlaubt gewesen, sie hätten wohl Wasserpfeifen entzündet, Backgammonbretter aufgestellt und in einer Ecke ein Lamm am Spieß gebraten.
    »Und jetzt? Ich muss unbedingt mit ihm sprechen!« José war am Ende des Flurs stehen geblieben und sah mich ratlos an.
    Ich überlegte kurz, dann kam mir die rettende Idee. »Leyla!«
     
    »Bist du sicher?«, fragte José eine Stunde später. Die Zweifel in seiner Stimme waren unüberhörbar.
    »Wir haben keine Wahl.« Ich bemühte mich, sicherer zu klingen, als ich es war. Ich parkte meinen hellblauen VW Käfer, den mir meine Eltern zum zwanzigsten Geburtstag geschenkt hatten, an der Gloriastrasse und stieg aus. Bereits jetzt hatte ich das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, und als ich zu José hinüberschaute, ahnte ich, dass es ihm ähnlich erging. Ich lächelte, obwohl er es nicht sehen konnte, dann steuerten wir zielstrebig auf das Universitätsspital zu, das um die Ecke lag. Wieder folgte ich ihm, doch diesmal schien mir der Weg noch beschwerlicher. Ich musste bei jedem meiner Schritte auf den flatternden Stoff zwischen meinen Beinen achtgeben, damit ich nicht stolperte und der Länge nach auf den Boden knallte. Endlich hatten wir die richtige Abteilung erreicht. Schon von Weitem sah ich die zittrigen Greisinnen, die Mädchen mit ihren Puppen, die sich offenbar nicht bewegt hatten. Ich keuchte verhalten.
    José stieß mich unsanft an. »Nimm dich zusammen!«, zischte er.
    Wir gingen jetzt langsam, mit kleinen Schrittchen, die Köpfe gesenkt. Ich spürte, wie uns die Männer vor der Tür musterten. Einen Moment lang rührte sich keiner, ein undurchdringlicher, feindseliger Wall vor uns. Mein Puls hämmerte, und die Handflächen wurden feucht, doch dann traten sie mit einem Mal beiseite, fast ehrerbietig, und bildeten eine schmale Gasse, durch die wir in das Zimmer hineingelangten. Sofort verstummten die Gespräche, und alle wandten sich uns zu. Wie angewurzelt blieben wir stehen. Siedend heiß fiel mir ein, dass wir vergessen hatten abzusprechen, wie wir, einmal drin, vorgehen wollten. Ich musterte die abwartenden Mienen, die auf uns gerichteten Blicke und versuchte zu lächeln, was komplett sinnlos war. Mir wurde mulmig, und unauffällig stieß ich José an. Doch der reagierte nicht. Schweiß begann mir in dünnen Rinnsalen über den Rücken zu laufen. An der Wand tickte eine Uhr.
    »Salam aleikum«, flüsterte ich versuchsweise und wartete mit angehaltenem Atem, bis der Gruß zu meiner Erleichterung dutzendfach erwidert wurde. Unser Glück, dass türkische Familien meist vielköpfig und weit verzweigt waren, vermutlich hielt man uns für irgendwelche entfernt verwandten Tanten. Wir durften keine Zeit verlieren. Ich näherte mich in alle Richtungen nickend dem Bett. Auch hier wich man zurück und ließ uns vor. Als ich den Verletzten endlich zu Gesicht bekam, war ich wie vor den Kopf gestoßen. Der Junge, der dort mit bandagiertem Arm lag, war eindeutig nicht derjenige, der am Samstagabend verprügelt worden war. Er war klein, beinahe hager, und hatte abstehende Ohren und ein freches Grinsen. Es war unübersehbar, dass er das ganze Brimborium genoss, das um ihn veranstaltet wurde.
    Heimlich berührte ich Josés Arm und bedeutete ihm, das Zimmer zu verlassen, als mich unvermittelt eine der Frauen auf Türkisch ansprach. Wie gelähmt stand ich da, unfähig mich zu rühren. Natürlich hatte ich kein Wort verstanden.
    Die Frau sah mich durch den Schlitz in ihrem Umhang fragend an, und ich wiegte ratlos den Kopf, worauf sie sich erstaunlich schnell erhob und auf mich zuwuselte. Meine Knie wurden weich und ich hörte auf zu atmen, überzeugt davon, dass mein letztes Stündchen geschlagen hatte. Unter ihrer weiten Bekleidung war sie sicher schwer bewaffnet, wie auch die andern Frauen, ich konnte ein mehr als nur verdächtiges Rasseln hören, als sie sich bewegte. Und garantiert waren die zitterigen Alten draußen vor der Tür getarnte Schläferinnen, die nur auf den entscheidenden Aufruf warteten, um plötzlich voller Kampfbereitschaft aufzuspringen und mit ihren zu Gehhilfen umgebauten Maschinengewehren alles und jeden niederzumähen. In den Bäuchen der Puppen, welche die Mädchen an sich drückten, tickten Bomben dem Countdown entgegen, und die Männer, ich erkannte es an ihren nervösen Blicken, den verschwörerisch geflüsterten Anweisungen, waren begierig, endlich den Dschihad zu

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