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Lichterfest

Lichterfest

Titel: Lichterfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sunil Mann
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sich ruckartig nach mir umzuwenden. Ich konnte seinen Gesichtsausdruck nur erahnen, doch ich war mir ganz sicher, dass er grinste. Trotzdem reagierte er blitzschnell: Mit einem empörten Kreischen schüttete er erst Kemal den Tee ins Gesicht, worauf dieser wütend aufschrie, dann stieß José ihn zur Seite, packte meinen Arm und zerrte mich von dem Lüstling weg. Mit wehenden Umhängen eilten wir den Gang entlang, doch ich spürte Kemals Blick, er brannte sich in meinen Rücken und vor allem in die Gegend weiter unten.
     
    »Was für ein Glück, gilt hierzulande kein Burkaverbot!«, keuchte ich, als wir endlich wieder vor dem Universitätsspital standen, und dankte im Geiste meiner guten Freundin Leyla, die uns die Burkas ausgeliehen hatte.
    »Noch nicht! Aber wenn gewisse politische Gruppierungen so weitermachen wie bisher …«
    »Du meinst, nach den Minaretten, die eigentlich kein Mensch bauen wollte, und den Deutschen, ohne die hierzulande weder Sozialdienste noch Wirtschaft funktionsfähig wären, stehen die Burkas, die kaum jemand trägt, auf der Abschussliste?«
    José schlug den Schleier zurück, bevor er sich eine Zigarette anzündete. »Es ist zu befürchten. Schau mal, was europaweit gerade geschieht. Auf der Jagd nach ein paar Wählerstimmen beginnen auch hier rechte Parteien scheinbar willkürlich alles zu verteufeln, was sich medial ausschlachten lässt.«
    Darin stimmte ich ihm zu. Die Rechte versuchte, das Volk in einen permanenten Angstzustand zu versetzen, indem sie weit hergeholte und fadenscheinige Theorien derart bedrohlich aufbauschte, bis sie als reale Gefahr wahrgenommen wurden. Dabei wurden kaum Lösungsvorschläge geboten. Hauptsache dagegen, Hauptsache populistisch.
    »Der Erfolg gibt ihnen recht, leider«, fügte José an. »Ausgerechnet in der ach so neutralen Schweiz.«
    »Ha! Die Neutralität ist nicht zuletzt auch ein bisschen die Burka der Schweiz. So viel Gutes wir der auch verdanken, darunter kann man so einiges verschwinden lassen, was die genaue Betrachtung bei Tageslicht scheut. Das Thema Bankgeheimnis zum Beispiel, die Waffenexporte an autoritäre Regimes und, wenn es bloß möglich wäre, auch die Komponisten der Schweizer Beiträge zum Eurovision Song Contest. «
    José winkte ab. »Themawechsel.«
    »Wohl besser.«
    Nachdenklich sahen wir zum Spital.
    »Und jetzt?«, fragte ich.
    »Lass mich mal machen«, murmelte José und drehte sich etwas von mir weg, während er umständlich sein Handy unter der Burka hervorkramte. Ein Student, der sich gerade anschickte, die Straße zur ETH zu überqueren, warf ihm einen verwirrten Blick zu. Ich hob ebenfalls den Schleier und steckte mir eine Zigarette an, worauf der Student die Augen aufriss und seine Schritte beschleunigte, nicht ohne immer wieder gehetzt über die Schulter zurückzublicken.
    Ich bekam erst etwas von Josés halblaut geführtem Gespräch mit, als dieser plötzlich seine Stimme hob.
    »Ja, ich weiß, dass ich Türke gesagt habe!« Jäh verstummte er und zog an der Zigarette, während er konzentriert zuhörte. »Und du meinst … ach so … das könnte sein.«
    Er wandte sich wieder mir zu und sah mich abwesend an. »Ja, genau. Gestern Abend. – Was? Das ist nicht wahr! Joder! So eine verdammte Scheiße!« Seine Hand ballte sich zur Faust. Wütend schnippte er die Fluppe auf die Rasenfläche und stampfte sie mit dem Absatz seines Schuhs in den Boden. »Wie heißt er? – Okay, ich ruf dich später an. Danke schon mal.«
    »Wer war das?« Ich blickte meinen Freund neugierig an, doch er schüttelte nur den Kopf und strich den Schleier wieder übers Gesicht.
    »Komm mit«, sagte er unwirsch und stapfte zum Eingang des Spitals hinauf.
    Kaum hatten wir es betreten, begann José zu trippeln wie eine japanische Geisha, sodass ich beinahe auf den Saum seiner Burka getreten wäre. Mit ebenso kleinen Schrittchen folgte ich ihm durch die weitläufige Halle zu einem länglichen Korpus, den ein Schild als Informationsstand auswies. Viel Licht und heller Marmor verliehen dem Eingangsbereich des Spitals eine stilvolle Atmosphäre, durch die breite Fensterfront sah man in einen kleinen, begrünten Park hinaus. Hätte man den Wartebereich mit seinen an Corbusier erinnernden Ledersesseln und die mit bangen Gesichtern auf ihren Aufruf Harrenden ignoriert, wäre man sich wie in der Lobby einer Wellnessoase vorgekommen.
    Schluchzend blieb José am Empfangstresen stehen, während ihn die Schwester dahinter mitfühlend betrachtete.

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