Lichterfest
schmeckende Pulver ab, das aussah wie Brausepulver, das ich als Kind immer am Kiosk gekauft hatte. Danach zerschmolz das Bild wie ein überhitzter Zelluloidfilm.
Ich drehte mich zur Seite, vergrub den Kopf unter dem Kissen und schaffte es, das hartnäckige Klingeln zu ignorieren.
Montag
»Weshalb bist du dir so sicher, dass er hier ist?«
Unwillkürlich hatte ich meine Stimme gesenkt, als wir das Universitätsspital betreten hatten. Ich folgte José, der zielstrebig voranging, durch die Eingangshalle in einen lichtdurchfluteten, leicht ansteigenden Durchgang. Sukkulenten wuchsen der Fensterfront entlang in schwarz glänzenden, edel aussehenden Trögen, ein älterer Mann in einem blauen Pyjama schob schlurfend einen Infusionsständer vor sich her. Während ich immer noch auf eine Antwort wartete, steuerten wir auf eine Glastür zu. Dahinter erstreckte sich ein weiterer, ungleich düsterer Korridor, von dem beidseitig unzählige Zimmer abgingen.
José bog scharf um die Ecke und führte mich ins Treppenhaus. Rasch stiegen wir die aus Marmorplatten zusammengesetzten Stufen hinauf, er immer voraus und ich atemlos hinterher.
Ich flüsterte nur noch, wie das die Leute meist tun, wenn sie sich in einem Spital aufhalten. »Weshalb …?«
»Ich hab so meine Quellen«, fiel mir José kurz angebunden ins Wort.
Er schien diese Aussage nicht weiter ausführen zu wollen. Seine Geheimniskrämerei ging mir allmählich auf den Keks, doch ich beließ es dabei. Für den Moment.
In den Fluren roch es nach Kaffee, und der klinische Geruch von Desinfektionsmittel lag in der Luft. Der sandfarbene Linoleumboden quietschte unter unseren Schritten, als wir durch den Gang eilten. Hinter geschlossenen Türen waren Stimmen zu hören, Volksmusik dudelte aus einem Radio. Eine junge Krankenschwester trat mit einem bunten Blumenstrauß aus einem Zimmer und lächelte uns an, wie es nur Krankenschwestern können, mitfühlend und warmherzig. Im Vorbeigehen registrierte ich, dass sich unter ihrer weißen Uniform ein Büstenhalter und ein spitzenbesetzter Slip abzeichneten, was mich spontan dazu anregte, mir zu überlegen, wann ich zum letzten Mal Sex gehabt hatte. Es fiel mir nicht ein. Ich wandte mich verstohlen nach ihr um und ließ meinen Blick höher wandern, zu ihrem Namensschild, auf dem nur Maike stand, und traf wenig weiter oben auf ein Lächeln, das jetzt merklich kühler war, um nicht zu sagen eiskalt. Abrupt drehte sie sich weg und betrat ein Zimmer auf der anderen Seite des Ganges. Zurück blieb ein Hauch ihres Duftes: Pfefferminze. Was an dem Tee liegen musste, der wohl auch in diesem Spital Standard war.
»Wo bleibst du?« José war ungeduldig stehen geblieben und sah sich nach mir um. »Da vorne ist schon …« Er brach mitten im Satz ab und kniff die Augen zusammen.
»So einfach kommen wir da nicht rein.« Ich kratzte mich am Kinn. Ich hatte keine Ahnung, ob sich mein spanischer Journalistenfreund vorgestellt hatte, wir würden einfach in das Zimmer des verletzten Türken hineinmarschieren, uns kurz und unverbindlich erkundigen, weshalb er verfolgt, verprügelt und am Ende auch noch durchsucht worden war, um dann zufrieden nach Hause zu gehen, wo José seinen erschütternden Bericht schreiben würde, während ich am nächsten Kebabstand kühles Bier holte.
Wenn dem so war, hatte er offensichtlich nicht mit der Verwandtschaft des Jungen gerechnet. Denn die lungerte im Korridor vor der offen stehenden Tür herum: Buckelige Greisinnen mit Kopftüchern saßen zitterig auf Klappstühlen, Mädchen lehnten an der Wand und drückten ihre Puppen mit eingeschüchterten Mienen an sich, junge Burschen boten sich gegenseitig Zigaretten an und linsten unruhig nach einem Ort, wo es erlaubt war zu rauchen. Unauffällig spähten wir im Vorbeigehen in den Raum hinein. Drin war es keinen Deut besser. Rings um das Bett saßen traditionell gekleidete Frauen, dicht an dicht, sodass der Junge gar nicht zu sehen war. Die einen kleidete ein Tschador, der das Gesicht frei ließ, andere ein Niqab, bei dem man die Augen nur noch durch einen schmalen Schlitz im Stoff sah, aerodynamisch abgerundete Köpfe, Schultern und Torsos wie aus einem Guss, und das alles in Schwarz: Es sah aus, als trüge die Familie Barbapapa Trauer.
Manche weinten, wie die periodisch erschaudernden Schulterpartien erahnen ließen, andere kramten in großen Plastikboxen, die sie auf den Knien hielten, nach Esswaren. Kleinkinder spielten am Boden, derweil die Männer, die meisten
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