Lichterfest
jungen Schweizer Arzt Matteo Biasi auf einer Bank vor dem Zürcher Universitätsspital. An einem zufällig vorbeihumpelnden, atemlos röchelnden, komplett verschwitzten Passanten.
Ich rückte etwas von Biasi weg, nachdem er mich mit einem kräftigen Händedruck durchgeschüttelt hatte.
»Kumar.«
»Ihr Body-Mass-Index …«
»Dr. Biasi und ich haben uns gerade über Hirnhämatome unterhalten. Wie es scheint, befindet sich gerade ein besonders schwerer Fall auf der Intensivstation.« José hatte sich etwas vorgelehnt und sah mir eindringlich in die Augen.
Ich verstand die Warnung. Also verzichtete ich vorläufig darauf, dem Herrn Doktor zu erzählen, auf welchem Index er bei mir gerade gelandet war.
Dr. Biasi nickte eifrig. Seine irritierend blauen Augen, die in einem attraktiven Gegensatz zu seiner gebräunten Haut und dem dichten, dunklen Haar standen, leuchteten begeistert, und als er anhob zu sprechen, konnte ich mir gut vorstellen, dass es wohl einige Krankenschwestern gab, die Biasis Namen heimlich in ihr Kopfkissen flüsterten, bevor sie in fiebrig-feuchte Träume versanken.
»Der Patient litt an einer intrakraniellen, extrazerebralen Blutung. Ein epidurales Hämatom, entstanden durch ein Schädel-Hirn-Trauma, drückte zunehmend auf die Dura mater, einzig eine Trepanation, die sogenannte Krönlein-Bohrung, verhinderte durch Druckentlastung Schlimmeres. Dazu kommt ein Trümmerbruch des Nasenbeins, Nasenseptumhämatom mit Indikation zur Inzision und eine Mandibularfraktur.«
José rollte mit den Augen.
»Mit anderen Worten: Hätten Sie seinen Schädel nicht geknackt und den angestauten Saft ablaufen lassen, wäre er genauso hin wie seine Nase«, fasste ich zusammen und war plötzlich froh um die drei Monate mit dieser Medizinstudentin, deren Name mir beim besten Willen nicht einfallen wollte.
Dr. Biasi warf mir einen verärgerten Blick zu. Diese Show hatte ich ihm gestohlen. »Nun ja …«
»Ist er bei Bewusstsein?«
»Nein, er liegt selbstverständlich im Koma. Aber was ich noch zum Kieferbruch erklären wollte …«
»Ab wann kann er Besuch empfangen?«
Dr. Biasi schüttelte unwillig den Kopf. »Meist sind seine Mutter und eine Tante bei ihm. Ansonsten lassen wir niemanden zu ihm.«
»Wir reden hier von Fernando Hirt, nicht wahr?« Ein kluger Detektiv macht schließlich denselben Fehler nicht zweimal.
Dr. Biasi richtete sich leicht auf und verzog die meerblauen Augen zu schmalen Schlitzen. »Sind Sie verwandt mit ihm?«
»Sozusagen.«
»Aha.« Er sah mich misstrauisch an.
»Entfernt.«
»Nur weil gerade vorhin jemand ohne Zutrittsberechtigung in die Intensivstation eindringen wollte. Wir konnten ihn gerade noch aufhalten. Offenbar ein Besucher, der sich verirrt hatte.«
»Trug er einen Hut und einen Schal?«
Dr. Biasi sah mich erstaunt an. »Kennen Sie den Herrn?«
»Ich rate nur.«
Er legte irritiert die Stirn in Falten. »Wir, also Schwester Hannelore und ich, haben ihn wohl sehr erschreckt, denn er ist sofort weggerannt, als er uns kommen sah.«
»Er hat es nicht in die Intensivstation geschafft?«
»Nein, dazu hätte er an Schwester Hannelore vorbeikommen müssen. Und das geht nicht so einfach.« Er kicherte dämlich; erst als er bemerkte, dass ich ihn unverwandt ansah, machte er wieder ein ernstes Gesicht. »Spätestens am Freitag können Sie ihn besuchen.« Er hob das Handgelenk und starrte verwirrt darauf. »Verdammt …«, murmelte er, dann hob er den Kopf. »Wissen Sie, wie spät es ist? Dauernd lasse ich meine Uhr irgendwo liegen.«
Ich hatte bereits mein Handy hervorgekramt und ihm die Uhrzeit gesagt, als es zu klingeln begann.
Dr. Biasi verabschiedete sich von José und deutete nochmals auf meinen Bauch. »Gesündere Ernährung, weniger Alkohol und vor allem: mehr Sport!«, rief er mir zu, während er auf den Eingang des Spitals zuging.
Ich schnitt ihm eine Grimasse und nahm den Anruf entgegen.
»Höchste Priorität, Kumar, erinnern Sie sich?«, schnarrte es mir ins Ohr, dann folgte ein widerliches Schmatzen. »Ich habe Sie nicht engagiert, damit Sie durchs Niederdorf spazieren!«
Ich knurrte verhalten, dieser Mann verstand tatsächlich etwas von seinem Metier: Ihm entging nichts. Vielleicht hatte er aber auch einfach nur im Blutigen Daumen Rösti mit Kalbsleber gegessen, als ich im Niederdorf auf Verfolgungsjagd war.
»Herr Blanchard, ich kann Ihnen versichern, dass ich mich mit vollem Einsatz um Ihren Fall kümmere. Gerade hat er erneut eine dramatische Wendung
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