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Lichterfest

Lichterfest

Titel: Lichterfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sunil Mann
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alle den Niqab, den Umhang, der alles verhüllte außer den Augen.
    »Was ist geschehen?« Vorsichtig trat ich näher. Sie wichen zurück und erst jetzt erkannte ich den Jungen auf den aufgestapelten Säcken, um den sie sich geschart hatten. Hassan. Nahm ich zumindest an, denn mit dem Gesicht auf dem Foto hatte dieses hier kaum noch Ähnlichkeit.
    Die Augen des Jungen weiteten sich, und er öffnete die blutverkrusteten Lippen spaltbreit, als ich einen Luftzug spürte. Dann traf mich ein Hieb am Kopf. Ich torkelte zur Seite und hatte gerade noch Zeit, mich zu ducken, bevor Hassan erneut zuschlug.
    »Warte!«, schrie ich, doch er umkreiste mich tänzelnd mit erhobenen Fäusten, während ich taumelnd Halt suchte. »Er muss dringend ins Spital!«
    Der nächste Schlag traf meine Schulter mit einer solchen Wucht, dass ich rückwärts stolperte. Noch ehe ich hinfiel, hatte er mich am Arm gepackt und schleuderte mich gegen einen Kartonstapel. Auberginen regneten dumpf polternd auf mich herab, dann erhielt ich einen Tritt in die Magengrube. Grelle Lichter explodierten vor meinen Augen, ich wähnte mich kurz auf einer aus dem Ruder gelaufenen Diwali- Feier. Als ich wieder klar sah, hatte Hassan mich bereits wieder zu sich herangezerrt, mit eisernem Griff drückte er meinen Nacken hinunter und rammte sein Knie in meinen Bauch, immer wieder, bis ich keine Luft mehr bekam. Dann krachte seine Faust mitten in mein Gesicht, sodass ich das Gleichgewicht verlor. Vor Schmerzen heulte ich auf. Schon stand er über mir, ein schwitzender, vor Wut rasender Bulle. Das Blut spritzte mir aus der Nase und vor Schreck starr erkannte ich, wie er ein Bein hob, um zuzutreten. Mir fiel nichts anderes ein, als mich an sein anderes Bein zu klammern und verzweifelt daran zu reißen. Unwillig grunzend trat er nach meinem Arm. Ich stöhnte auf und zog das Bein mit einem Ruck in meine Richtung. Wie ein gefällter Baum stürzte er zu Boden. Im nächsten Augenblick war ich auf ihm und drückte mit aller Kraft den Unterarm gegen seinen Kehlkopf. Manchmal war es doch ganz nützlich, wenn man die James-Bond-Filme mehrmals gesehen hatte.
    »Bei den türkischen Ölringkämpfen sieht das immer viel besser aus«, keuchte ich, während ich spürte, wie mir Blut über das Kinn troff.
    Hassans Augen traten hervor und sein Gesicht verfärbte sich allmählich lila.
    »Machen stopp! Sie toten!«, schrie eine der Frauen schrill.
    »Na bravo! Jetzt greifen Sie mit einem Mal ein!«, knurrte ich grimmig, doch eine Antwort blieb aus. Ich mutmaßte, dass sie mich nicht verstanden hatte. Die drei Frauen hatten trotz ihrer verhüllenden Umhänge einen nicht mehr gerade jugendlich-knackigen Eindruck auf mich gemacht. Ich wusste, dass viele ältere Menschen aus anderen Kulturen, obwohl sie seit Jahren im Quartier wohnten, der deutschen Sprache nicht mächtig waren und sich auch kaum mit der lokalen Bevölkerung abgaben. Sie waren so gut in die eigene Familie eingebettet, dass dies auch gar nicht nötig war.
    Trotzdem fragte ich mich, wie es sein musste, abgeschottet in einer Art Exklave zu leben. Waren diese Leute nicht neugierig? Und wozu in einem anderen Land leben, wenn man nichts damit zu tun haben will? Im Gegenzug strengten sich viele junge Ausländer derart an, sich perfekt zu integrieren, dass sie dabei schweizerischer als die Schweizer wurden. Rechte Parteien wie die VPRS freuten sich natürlich über den Zulauf, diese Art Ausländer war ihnen willkommen und besonders gut für das äußere Erscheinungsbild.
    Doch es blieb keine Zeit für weitergehende Überlegungen.
    Ich überzeugte mich, dass Hassan der Ältere aufgegeben hatte, und nickte zufrieden, als ich ihn röchelnd daliegen sah. Schließlich wurde an Diwali passenderweise der Sieg des Guten über das Böse gefeiert. Dann rappelte ich mich auf und ging zu Hassan dem Jüngeren zurück. Behelfsmäßig wischte ich mir mit einem Taschentuch das Blut aus dem Gesicht. Mittlerweile war auch der Dicke herübergekommen, noch immer tupfte er sich die fettigen Lippen mit einer Serviette ab, zudem hatte der Lärm, den wir veranstaltet hatten, die Restfamilie aufgeschreckt. Mit besorgten Gesichtern drängten die ersten in den Lagerraum, gefolgt von immer weiteren, bis es plötzlich eng wurde. Sehr eng. Ich ignorierte das aufgeregte Murmeln hinter mir und beugte mich über Hassan junior. Er war wirklich übel zugerichtet, doch immerhin noch bei Bewusstsein.
    »Wie geht es dir?«
    Er nickte tapfer.
    »Sie werden dich gleich ins

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