Lichterfest
die Burschen, die Fernando verprügelt hatten, könnten die beiden Frauen sehen. Vielleicht würde sie dieses Leid aufwecken, vielleicht würden sie zukünftig davon absehen, gedankenlos Leute in die Notaufnahme zu befördern, nur weil ihnen gerade ein wenig langweilig war. Wobei in diesem speziellen Fall Martin Schluep mitschuldig war. Ich fragte mich, wo er steckte.
»Ich muss mit Antonia sprechen«, brachte ich mein Anliegen vor.
Pilar zögerte. »Ich glaube, sie telefoniert.«
»Könnten Sie sie holen, bitte? Es ist sehr wichtig.«
Sie presste die Lippen zusammen und verschwand im Korridor.
Mürrisch betrachtete Antonia den Ausdruck. Sie hatte die Arme verschränkt, sodass ich das Bild mit dem jungen Türken selbst halten musste, und kaute auf dem obligaten Kaugummi herum.
»Was ist mit ihm?«, fragte sie.
»Kennst du ihn?«
»Hum …«
Ich sah Pilar Hilfe suchend an, doch sie starrte gedankenversunken ins Leere. Ich fragte mich, wie sie bloß mit ihrer spätpubertierenden Tochter zurechtkam. Mir hätten die Nerven dazu gefehlt.
»Geht das auch genauer?«
Schnippisch schürzte sie die Lippen. »Wenn das Bild nicht so beschissen verschwommen wäre …«
»Der Junge ist in Gefahr. Wenn er Pech hat, geschieht ihm etwas Ähnliches wie Fernando.«
»Und was würdest ausgerechnet du dagegen tun wollen?«
Ich überhörte ihre Provokation. »Kommt er dir bekannt vor?«
»Könnte sein.«
»Sieh ihn dir genau an.«
»Was hab ich davon?« Aufreizend gelassen inspizierte sie ihre Fingernägel.
»Er wäre dir sicher dankbar.«
»Er ist ein Arschloch«, bemerkte sie, ohne die Nägel aus den Augen zu lassen.
»Also kennst du ihn!«
Sie zuckte mit den Schultern und zog eine Schnute.
»Antonia! Es ist wichtig!«
Gelangweilt zupfte sie an einer Haarsträhne herum, blähte die Backen und stieß die Luft aus. Gleichgültig sah sie mich dann an, die Lider halb geschlossen, ihr Unterkiefer malmte stoisch.
Sie zuckte erst zusammen, als meine geballte Faust hart gegen die Haustür krachte.
»Das ist ein Ernstfall!«, brüllte ich sie an, worauf sich ihr Gesicht zu einer beleidigten Grimasse verzog. Schon flossen die ersten Tränen, und Pilar, die aus ihrer Trance aufgeschreckt war, drückte ihre Tochter an sich und sah mich vorwurfsvoll an. Dann blickte sie auf das Bild und runzelte die Stirn, während Antonia einen dramatischen Schluchzer hören ließ.
»Das ist doch Hassan!«, sagte Pilar und schob ihre Tochter etwas von sich weg. »Oder nicht? Antonia?«
Sie nahm mir das Blatt aus der Hand und betrachtete es erneut, bevor sie es Antonia zeigte. Diese reagierte nicht, sondern starrte mich nur wütend an.
»Antonia!« Pilar klang plötzlich ungewohnt streng. Das zog, denn Antonia bejahte widerwillig.
»Also Hassan?«, fragte ich an Pilar gewandt.
Sie nickte. »Ein guter Freund von Fernando.«
Der EG Market an der Josefstrasse, ein türkisches Lebensmittelgeschäft, das Hassans Vater gehörte, hatte zwar länger geöffnet als die Supermarktketten, mittlerweile war es aber beinahe neun Uhr. Doch als ich mit meinem Käfer vorfuhr, sah ich, dass ich Glück hatte. Der Laden selbst war zwar bereits geschlossen, der dazugehörige Kebabstand jedoch hell erleuchtet. Zwei Männer saßen mit je einem kleinen Glas Tee vor sich an einem Tisch und bedienten sich eifrig diskutierend von einem Plastikteller, auf den türkische Spezialitäten gehäuft waren. Keiner der beiden sah auf, als ich eintrat. Hinter dem Tresen, wo sich ein Döner Kebab einsam drehte, war niemand zu entdecken. Ich zündete mir eine Zigarette an und wartete. Als nach drei Minuten immer noch keine Bedienung aufgetaucht war, wandte ich mich an die beiden Männer: »Wer ist denn hier zuständig?«
Eindringlich besprachen sie sich weiter, als hätten sie nichts gehört. Sie schienen aufgeregt, doch Türkisch hörte sich in meinen Ohren immer irgendwie hektisch an.
Heute schien offenbar nicht der Tag zu sein, an dem ich mich widerstandslos durchsetzen konnte. Leider gab es hier in sinnvoller Nähe keine Tür, gegen die ich auf der Suche nach einem kleinen bisschen Aufmerksamkeit hätte hämmern können. Während die beiden Männer in meinem Rücken schmatzend referierten, ging ich um den Tresen herum und schritt beherzt auf die Kasse zu. Sofort sprang einer der beiden auf.
»He da!« Er wischte sich die fettigen Hände an der Schürze ab, die er um die Hüften gebunden trug.
»Ist hier Selbstbedienung?«, fragte ich unwirsch.
Der Mann
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