Lichterfest
Wichtiges zeigen«, beruhigte ich ihn, während ich den Browser startete und den Suchbegriff auf der YouTube -Startseite eintippte.
»Hier. Alle Filme von unserem Freund Dragantino, ordentlich nach Datum aufgelistet.« Ich scrollte durch die Auswahl. Dragantino war zweifelsohne ein sehr eifriger Filmer.
»Hier ist er ja.« Ich klickte mit der Maus, Sekunden später flimmerte das Filmchen über den Bildschirm. »Da! Siehst du?«
José schüttelte den Kopf und rückte näher zum Bildschirm.
»Das ist die IQ Bar, hier bin ich.«
» Hombre, ich bin nicht völlig bekloppt.«
Ich tippte auf das Standbild und ließ den Film weiterlaufen. »Neben mir sitzt Fernando. Sein Kumpel geht jetzt zur Toilette. Und dann geschieht es! Da!«
»Was geschieht? Er beugt sich nur vor und macht sich an seiner Leinentasche zu schaffen …«
»Die gehört nicht ihm! Sondern seinem Kumpel! Schau es dir noch mal an.« Ich ging ein paar Sekunden zurück und zeigte José den Abschnitt erneut.
Als die entscheidende Stelle kam, stoppte ich den Clip. Deutlich war zu erkennen, wie Fernando sich vorbeugte und blitzschnell etwas in die Tasche seines Freundes steckte. Einen Shopper aus hellem Stoff, wie ihn viele junge und jung gebliebene Leute heutzutage trugen, viel mehr ein Beutel als eine Tasche.
»Er versteckt einen Umschlag!«
»Nicht irgendeinen Umschlag. In dem Kuvert befinden sich die Fotos von Graf, wie er Antonia küsst.«
»Meine Fotos in dem Fall!« José sah mich erstaunt an. »Wie sind die dorthin gelangt?«
Ich fasste ihm den Weg der Bilder kurz zusammen, während José aufmerksam zuhörte, dann startete ich den Film ein weiteres Mal und hielt ihn an der Stelle an, an welcher Fernandos Kumpel zu sehen war.
»Mit dem müsste ich mich mal unterhalten.«
Josés Kopf verschwand kurz unter dem Schreibtisch, ein leises Summen war zu hören, dann tauchte er wieder auf. »Mit dem brandneuen Laserdrucker werden sogar solche Bilder gestochen scharf.« Er betrachtete schief grinsend den Ausdruck und gab ihn mir. »Na ja, fast.«
Ich ersparte mir einen Kommentar und prägte mir stattdessen das Gesicht des jungen Türken mit dem schwarz glänzenden, schulterlangen Haar und dem stoppeligen Oberlippenbärtchen ein. Langsam wandte ich mich zur Tür. Auf der Schwelle drehte ich mich zu José um, der sich bereits wieder auf den Bildschirm konzentrierte.
»Noch was?«, fragte er und blickte auf.
»Heute bist du noch mal davongekommen, aber denk nicht, dass ich dich so leicht vom Haken lasse.«
Scheinheilig hob er eine Augenbraue. » Hombre, ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.«
An der Langstrasse war nicht viel los an diesem frühen Mittwochabend. Seit junge Ungarinnen erkannt hatten, dass man – mit einem kurzen Rock, etwas Glitter auf Lidern und Wangen sowie einer gewissen Unbefangenheit – mit offenen Hosen, Autotüren und Geldbörsen empfangen wurde, waren die Charterflüge zwischen Budapest und Zürich ausgebucht und der nahe gelegene, spärlich beleuchtete Sihlquai belebt wie der Bellevueplatz beim Sechseläuten. Während dort die wohl beliebtesten Touristinnen der Stadt nicht nur an katholischen Feiertagen den Verkehr ankurbelten, kam er hier nicht mehr so recht in die Gänge. Auch in diesem Bereich veränderte sich das Quartier.
Vor den Eingängen einiger Lokale standen muskulöse Männer in engen T-Shirts, dicke Goldketten auf der Brust und ließen ihre verkniffenen Blicke skeptisch über das brach liegende Vergnügungsviertel schweifen. Drinnen blinkten die Lichter über leeren Theken unverdrossen weiter, ihnen war es egal, ob die Schuppen voll waren oder nicht.
Nachdem ich nur mit Mühe und Not dem lackbewehrten Fleischklops entkommen war, der vor dem Wohnhaus an der Brauerstrasse auf und ab marschierte und wohl wegen des akuten Freiermangels eine aggressive Paarungsbereitschaft an den Tag legte, rannte ich die Treppe hinauf und klingelte bei Pilar.
Widerwillig ließ sie mich hinein. Sie wirkte verschlafen, behauptete aber, ich hätte sie nicht geweckt, sie hätte nur etwas ferngesehen. Als ich sie in der Dielenbeleuchtung sah, wusste ich weshalb. Ihre Augen waren geschwollen, die Nase rot und wund. Tiefe Falten zeichneten ihr hübsches Gesicht und die Schatten unter ihren Augen waren noch dunkler geworden.
»Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal richtig geschlafen habe«, entschuldigte sie sich. Sie sah wie ihre Schwester bemitleidenswert aus.
Eine eiskalte Wut erfasste mich plötzlich. Ich wünschte,
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