Lichterspiele
da ist. Du wartest hier.“
Robert nahm eine Zigarette aus dem Päckchen auf dem Armatu renbrett, zündete sie an und beobachtete die Katze. Über seinem Kopf knarrte das Wirtshausschild im Wind, eine Möwe flog heran, setzte sich darauf, beäugte Robert mit feindseliger Herausforderung und kreischte aufgeregt. Zwei Männer kamen die Straße entlang, mit dem gemächlichen, rechtschaffenen Gang, der einem geruhsamen Sonntag vorbehalten ist. Sie trugen marineblaue Seemannspullover und weiße Stoffmützen.
„Morgen“, sagten sie im Vorübergehen.
„Herrlicher Tag“, sagte Robert.
„Ja. Herrlich.“
Kurz darauf erschien Marcus wieder. „Alles klar. Ich hab ihn ge funden.“
„Und Emma?“
„Er sagt, sie ist im Atelier. Sie streicht die Wände.“
„Soll ich sie holen?“
„Wenn du willst. Es ist...“ er sah auf seine Uhr, „Viertel nach zwölf. Schätze, du bist bis eins wieder hier. Ich hab ihm gesagt, dass wir um halb zwei essen.“
„Gut. Ich geh zu Fuß. Es lohnt sich nicht, den Wagen zu neh men.“
„Weißt du den Weg noch?“
„Natürlich.“ Er war schon zweimal allein in Porthkerris gewe sen, um Ben Litton aus dem einen oder anderen Grund aufzuspü ren, wenn Marcus nicht abkömmlich war. Bens Horror vor Tele fonen, Autos und jeder Art von Kommunikation führte dann und wann zu den fürchterlichsten Komplikationen, und Marcus hatte sich längst damit abgefunden, daß es schneller ging, die Fahrt von London nach Cornwall zu machen und sich in die Höhle des Löwen zu wagen, als auf eine Antwort auf überaus dringliche Telegramme zu warten.
Er stieg aus und schlug die Wagentür zu. „Soll ich ihr sagen, worum es geht, oder soll ich dir die angenehme Aufgabe überlas sen?“
Marcus grinste. „Sag du's ihr.“
Robert nahm seine schmale Tweedmütze ab und warf sie auf den Fahrersitz. Er sagte liebenswürdig: „Du Mistkerl.“
Ungefähr zwei Wochen nachdem Emma in London gewesen war, hatte er einen Brief von ihr bekommen:
Lieber Robert,
wenn ich Marcus Marcus nenne, kann ich Sie unmöglich Mr. Morrow nennen, nicht wahr? Nein, natürlich nicht, unmöglich. Ich hätte Ih nen gleich schreiben sollen, um Ihnen ganz herzlich zu danken für das Mittagessen und dafür, daß Sie mir das Geld gegeben haben, und auch dafür, daß Sie Ben benachrichtigt haben, mit welchem Zug ich kam. Er hat mich tatsächlich am Bahnhof abgeholt. Alles läuft ganz groß artig, bis jetzt hatten wir keinen Krach, und Ben arbeitet wie der Teufel an vier Leinwänden auf einmal. Ich habe nichts von meinem Gepäck verloren, nur den Sonnenhut, den mir bestimmt jemand gestohlen hat.
Liebe Grüße an Marcus. Und an Sie.
Emma
Jetzt ging er durch das verwirrende Labyrinth aus engen, verwinkelten Straßen, die zum Nordufer der Stadt führten. Hier gab es noch einen Strand, eine windige, ungeschützte Bucht, die nur von Surfern geschätzt wurde, wegen der kräftigen, langen Wellen, die direkt vom Atlantik heranrollten. Ben Littons Atelier ging auf diesen Strand hinaus. Ursprünglich war es einmal ein Lager für Fischer netze gewesen; man mußte über eine kopfsteingepflasterte Rampe gehen, die von der Straße abwärts zu einer schwarzgeteerten Tür führte, mit Bens Namensschild und einem riesigen eisernen Tür klopfer. Robert klopfte und rief: „Emma?“
Es kam keine Antwort. Als er die Tür vorsichtig öffnen wollte, wurde sie ihm von einem Windstoß, der wie ein Wasserschwall durch das offene Fenster auf der anderen Seite des Ateliers herein stürzte, fast aus der Hand gerissen. Sobald die Tür hinter ihm zuge fallen war, legte sich der Durchzug. Das Atelier war leer und bitter kalt. Von Emma war nichts zu sehen, aber eine Trittleiter, ein Malerpinsel und ein Eimer deuteten auf ihre augenblickliche Beschäftigung hin. Eine Wand war ganz fertig, aber als Robert sie mit der Hand berührte, fühlte sie sich noch kalt und feucht an.
Mitten vor dieser Wand stand ein häßlicher altmodischer Ofen, jetzt leer und kalt, daneben befanden sich ein Gasbrenner, ein zer beulter Wasserkessel, eine umgedrehte Apfelsinenkiste mit blau weiß gestreiften Bechern und einem Glas mit Würfelzucker. An der gegenüberliegenden Seite des Raumes stand Bens Arbeitstisch, darauf verstreut Zeichnungen und Papiere, Farbtuben sowie Hunderte von Bleistiften und Pinseln, die alle auf mehreren Bögen Wellpappe ausgelegt waren. Die Wand über diesem Tisch war dunkel, schmutzig vom Alter und beschmiert mit unzähligen
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