Lichterspiele
hinunter und sah zu, wie er die Leiter aufrollte und das Fenster zuschob. Es ließ sich nicht richtig schließen, immer noch drang ein eisiger Luftzug ins Zimmer. „Ich bin daran gewöhnt. Als Kinder sind wir immer im April schwimmen gegangen.“
„Jetzt ist nicht April. Es ist März. Es ist Winter. Was würde Ihr Vater dazu sagen?“
„Oh, nichts würde er sagen. Es ist so ein wunderschöner Tag, und ich hatte das Anstreichen satt... Haben Sie meine herrliche saubere Wand gesehen? Das Dumme ist bloß, daß dadurch der Rest des Ateliers wie ein Dreckloch aussieht. Übrigens, ich war nicht schwimmen, ich war surfen, und die Brecher haben mich gewärmt.“ Und dann, ohne merklichen Wechsel des Tonfalls: „Wollten Sie zu Ben? Er ist im Sliding Tackle.“
„Ja, ich weiß.“
„Woher wissen Sie das?“
„Weil ich Marcus dort bei ihm abgesetzt habe.“
„Marcus.“ Emma hob ihre markanten Augenbrauen und überlegte. „Marcus ist auch mitgekommen? Meine Güte, das muß ein wichtiges Geschäft sein!“
Sie schauderte leicht.
„Ziehen Sie sich was an“, mahnte Robert.
„Ach, brauch ich nicht.“ Sie trat an den Tisch, nahm sich eine Zigarette, zündete sie an und ließ sich dann auf das alte Sofa fallen, flach auf den Rücken, die Füße auf der Armlehne abgestützt.
„Haben Sie meinen Brief bekommen?“
„Ja.“ Da Emma das ganze Sofa einnahm, blieb ihm nur der Tisch zum Sitzen, deshalb legte er den Zeitschriftenstapel vorsichtig auf die Erde und setzte sich auf die Tischkante. „Tut mir leid, das mit Ihrem Sonnenhut.“
Emma lachte. „Aber das mit Ben hat Sie gefreut?“
„Natürlich.“
„Es klappt erstaunlich gut. Unglaublich. Und er hat mich wirk lich gern um sich.“
„Ich hätte nicht eine Sekunde gedacht, daß es anders wäre.“
„Ach, bloß keine Komplimente. Natürlich haben Sie das gedacht. Neulich beim Mittagessen waren Sie nichts als fragende Augen brauen und Skepsis. Aber es ist wirklich ein perfektes Abkommen. Ben muß mich nicht dafür bezahlen, daß ich ihm den Haushalt führe, er braucht sich nicht mit lästigen Kleinigkeiten wie freien Ta gen und Sozialversicherung abzugeben, und er muß keine Gefühle zeigen. Ich glaube, er hätte nie gedacht, daß das Leben so unkompli ziert sein kann.“
„Haben Sie was von Christopher gehört?“
Emma drehte den Kopf zur Seite, um ihn anzusehen. „Woher wissen Sie von Christopher?“
„Sie haben es mir selbst erzählt. Bei Marcello, erinnern Sie sich?“
„Ach ja. Nein, ich hab nichts von ihm gehört. Aber er dürfte inzwischen in Brookford sein, mitten in den Proben. Er hatte be stimmt keine Zeit zum Schreiben. Außerdem gab es hier so viel zu tun. Uns im Cottage einrichten, kochen und so weiter. Glauben Sie den Leuten bloß nicht, wenn sie sagen, daß Künstler nichts essen. Bens Magen ist unersättlich.“
„Haben Sie ihm erzählt, daß Sie Christopher getroffen haben?“
„Himmel, nein! Hätte ich unseren reibungslosen Tagesablauf stören sollen? Ich hab nicht mal seinen Namen erwähnt. Wissen Sie was, in den Tweedsachen sehen Sie viel netter aus als in den Londoner Klamotten. Als ich Sie das erste Mal sah, dachte ich gleich, daß Sie nicht der Typ sind, der seine Tage zugeknöpft in einem anthrazitgrauen Anzug verbringt. Wann sind Sie hier ange kommen?“
„Wir sind gestern nachmittag losgefahren. Wir haben im Hotel Castle übernachtet.“
Emma zog ein Gesicht. „Umringt von einem Haufen Topfpal men und Kaschmirstrickjacken. Igitt!“
„Es ist sehr komfortabel.“
„Von der Zentralheizung krieg ich Heuschnupfen. Da kann ich nicht mal atmen.“
Sie drückte ihre halbgerauchte Zigarette in dem überquellenden Aschenbecher aus, schwang die Füße vom Sofa und ging zum Fenster. Im Gehen löste sie den Gürtel ihres Bademantels. Sie kramte einen Stapel Kleidungsstücke unter einem Kissen hervor und begann sich mit dem Rücken zu ihm anzuziehen.
„Warum sind Sie und Marcus zusammen gekommen?“ fragte sie schließlich.
„Marcus fährt nicht Auto.“
„Es gibt Züge. Und das hab ich auch nicht gemeint.“
„Ich weiß.“ Er nahm eins von den bemalten Porzellaneiern und spielte damit wie ein Araber mit den Kugeln einer Gebetskette. „Wir sind hergekommen, um Ben zu überreden, wieder nach Amerika zu fliegen.“
Plötzlich brach ein heftiger Windstoß durch das Glasfenster des Ateliers und toste gleichzeitig wie das Donnern eines vorbeifah renden Zuges über das Dach. Ein Schwarm Möwen stieg krei schend
Weitere Kostenlose Bücher