Lichterspiele
zu unterbrechen, aber ich glaube wirklich, wir sollten los. Immerhin haben wir eine Fahrt von fast fünfhundert Kilometern vor uns.“
Mrs. Ryan wirkte erstaunt. „Aber wie spät ist es denn?“
„Fast vier Uhr.“
Sie lachte. „Schon! Es ist wie in Spanien. Einmal bin ich in Spanien zu einem Mittagessen gegangen, und wir sind erst abends um halb acht vom Tisch aufgestanden. Warum muß die Zeit so schnell vergehen, wenn man sich richtig amüsiert?“
„Ursache und Wirkung“, sagte Ben.
Sie lächelte Robert über den Tisch hinweg an. „Sie wollen doch nicht sofort losfahren, oder?“
„Nun ja... so bald wie möglich.“
„Aber ich wollte mir das Atelier ansehen. Ich kann doch nicht den ganzen Weg über den Atlantik kommen und dann den ganzen Weg bis nach Porthkerris, ohne Bens Atelier zu sehen. Können wir auf dem Rückweg nach London nicht bloß mal schnell vorbeischauen?“
Niemand sagte etwas. Robert und Marcus wirkten einen Moment ratlos; Robert, weil er keine weitere Zeit verlieren wollte, und Mar cus, weil er wußte, daß es Ben ausgesprochen zuwider war, sein Atelier besichtigen zu lassen. Auch Emma war nicht gerade begei stert. Im Atelier herrschte Chaos - es war nicht Bens Chaos, das spielte keine Rolle, sondern ihr persönliches Chaos. Sie dachte an die Leitern, den Farbeimer, den nassen Frotteemantel, den Badeanzug, den sie auf dem Fußboden liegengelassen hatte, die randvollen Aschenbecher, das durchgesessene Sofa und den Sand, der überall verstreut war. Sie sah Ben an, beschwor ihn, abzulehnen. Aller Augen waren auf Ben gerichtet, sie warteten wie Marionetten, in welche Richtung er die Fäden ziehen würde.
Aber ausnahmsweise ließ er sie nicht im Stich.
„Meine liebe Mrs. Ryan, obwohl ich Ihnen mein Atelier mit Vergnügen zeigen würde, muß ich doch darauf hinweisen, daß es nicht auf dem Weg nach London liegt.“
Alle sahen sie an, gespannt, wie sie es aufnehmen würde. Sie ver drehte theatralisch die Augen und seufzte schwer. Alle lachten erleichtert, und Mrs. Ryan lachte mit.
„Schön, ich gebe mich geschlagen.“ Sie nahm ihre Handtasche und Handschuhe an sich. „Aber eins lassen Sie mich noch sagen. Sie waren alle so lieb zu mir, und ich will mir nicht mehr wie eine Fremde vorkommen. Ich heiße Melissa. Ob Sie mich wohl so nen nen könnten?“
Während sie zum Auto gingen, nahm sie Emma beiseite.
„Sie waren besonders lieb“, sagte sie. „Marcus hat mir erzählt, daß Sie aus Paris gekommen sind, um bei Ihrem Vater zu sein, und jetzt komme ich und nehme ihn Ihnen wieder weg.“
Emma, die wußte, daß sie nicht besonders lieb gewesen war, hatte ein schlechtes Gewissen. „Die Ausstellung geht vor...“
„Ich passe gut auf ihn auf“, versprach Melissa Ryan.
Ja, dachte Emma, davon bin ich überzeugt. Dennoch war ihr die Amerikanerin sympathisch. Und etwas in ihrer Haltung und der Klarheit ihrer veilchenblauen Augen weckte in Emma leise Zweifel daran, daß Ben diesmal so leichtes Spiel haben würde wie sonst. Und wenn bei ihm etwas nicht von Anfang an nach Wunsch lief, gab er schnell auf. Lächelnd sagte sie: „Ich nehme an, es dauert nicht lange, bis er wieder zu Hause ist.“ Dann nahm sie den honigfarbenen Nerz von Mrs. Ryans Stuhllehne und half ihr hinein. Sie gingen zusam men aus dem Hotel. Es war kälter geworden. Die Wärme der Sonne hatte den Himmel verlassen, und frostige Kühle stieg von der See herauf. Robert hatte das Verdeck des Alvis hochgeklappt, und Me lissa, in den Nerz gehüllt, ging zu Ben, um Lebewohl zu sagen.
„Aber es ist kein Lebewohl“, sagte er zu ihr, während er ihre Hand hielt und sie mit seinen dunklen Augen ansah. „Es gibt ein Wiedersehen.“
„Natürlich. Und wenn Sie mir mitteilen, wann Ihre Maschine auf dem Kennedy Flughafen landet, lasse ich Sie abholen.“
Marcus seufzte. „Das erledige ich. Ben hat seit Menschengedenken nie irgendwem irgendwas mitgeteilt, schon gar nicht seine Ankunftszeiten. Leb wohl, Emma, mein liebes Kind, und vergiß nicht, daß ich dich eingeladen habe, bei uns zu wohnen, solange du willst, während Ben in Amerika ist.“
„Vielen Dank, Marcus. Man kann nie wissen. Vielleicht komme ich.“
Sie gaben sich einen Kuß. Er stieg hinten in den Wagen, und Melissa Ryan setzte sich nach vorn, die eleganten Beine in Roberts Rei seplaid gehüllt. Ben schloß die Tür, dann blieb er dort stehen und setzte sein Gespräch mit ihr durch das offene Wagenfenster fort. „Emma.“ Es war Robert.
Sie drehte sich
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