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Lichterspiele

Lichterspiele

Titel: Lichterspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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um. „Oh, Wiedersehen, Robert.“
    Zu ihrer Überraschung nahm er seine Mütze ab und beugte sich hinunter, um ihr einen Kuß zu geben. „Machen Sie's gut, ja?“
    Sie war gerührt. „Ja, sicher.“
    „Wenn Sie irgendwas brauchen, rufen Sie mich in der Galerie Bernstein an.“
    „Was sollte ich brauchen?“
    „Ich weiß nicht, war nur so ein Gedanke. Wiedersehen, Emma.“ Sie und Ben blieben stehen und sahen ihnen nach, bis der Wagen in einem Tunnel aus Bäumen verschwand. Einen Moment lang sagte keiner von ihnen etwas, doch dann räusperte sich Ben. „Einen inter essanten Kopf hat dieser junge Mann. Der schmale Schädel und die starken Gesichtsknochen. Ich würde ihn gerne mit Bart sehen. Er würde einen guten Heiligen abgeben - oder vielleicht einen Sünder. Magst du ihn, Emma?“
    Sie zuckte die Achseln. „Ich denke schon. Ich kenne ihn kaum.“
    Er wandte sich zum Gehen und bemerkte die kleine Ansammlung von Hotelgästen, die, begierig nach der kleinsten Abwechslung, ste hengeblieben waren, um Melissas Abfahrt zu beobachten. Als Ben sie kühl ansah, wandten sie sich ab und gingen verlegen weiter.
    Ben schüttelte verwundert den Kopf. „Ich glaube, ich habe genug davon, angestarrt zu werden wie ein zweiköpfiger Schimpanse“, sagte er mißbilligend. „Komm, wir gehen nach Hause.“

6
     
     
     
     
    B en Litton reiste Ende März nach Amerika ab. Er fuhr mit dem Zug von Porthkerris nach London und flog von dort aus nach New York. Im letzten Moment beschloß Marcus Bernstein, ihn zu begleiten, und die Abendzeitungen brachten Fotos von ihrer Abreise: Ben mit seinen weißen Haaren wie ein Gockel im Wind und Marcus fast unkenntlich durch seinen schwar zen Hut. Beide wirkten ein bißchen verlegen.
    Marcus war es dann, von dem Emma das Luftpostpaket mit ame rikanischen Zeitungen erhielt. Sämtliche namhaften Kunstkritiker hatten der Ausstellung längere Artikel gewidmet. Einhellig lobten sie das Queenstown Museum of Fine Arts und hoben das Zusammenspiel von Architektur, Beleuchtung und tadelloser Präsentation hervor. Die Ben Litton-Ausstellung dürfe man auf keinen Fall ver säumen. Nie wieder würden die Werke des Künstlers dem Publi kum in dieser Vielfalt zugänglich sein. Allein die zwei, drei Vor kriegsportraits, private Leihgaben, lohnten schon einen Besuch, und sei es nur, um zu sehen, wie ein einziger Mann zugleich Maler, Psychiater und verzeihender Priester sein konnte.
    Ben Litton gebraucht seinen Pinsel wie ein Chirurg das Skalpell, indem er zuerst die versteckte Krankheit bloßlegt und sie dann mit größter Einfühlsamkeit behandelt.
    Das Wort Einfühlsamkeit wurde auch für seine Kriegszeichnun gen verwendet, die Menschen im Bunker, die Feuerwehrmänner sowie eine Handvoll erhaltener Skizzen aus der Zeit des Vormarsches der Alliierten in Italien. Und über seine Nachkriegsarbeiten hieß es: Andere Maler abstrahieren von der Natur. Ben Litton abstrahiert von der Einbildungskraft, und zwar einer überaus lebhaften Einbil dungskraft - es ist in der Tat schwer zu glauben, daß diese vitalen Gemälde nicht von einem Mann geschaffen wurden, der halb so alt ist wie er.
    Emma las es und war stolz auf Ben. Die Vernissage hatte am 3. April stattgefunden, und bis eine Woche später war noch keine Rede von seiner Rückkehr. Sie verbrachte die Tage mit allen mög lichen Hausarbeiten und kehrte schließlich ins Atelier zurück, um es fertig zu streichen. Dies erforderte wenig geistige Aufmerksamkeit, und ihre Gedanken wanderten ziellos in die Zukunft und ergingen sich in Tagträumen, die sie sich vor einem Monat niemals erlaubt hätte. Jetzt aber fühlte sie, daß sich tatsächlich etwas verändert hatte. Am Zug in London hatte Ben ihr zum Abschied einen Kuß gegeben - mit Sicherheit geistesabwesend, als hätte er momentan vergessen, wer sie war, aber immerhin, er hatte sie geküßt, und damit war ein Meilenstein erreicht. Und wenn er sich endlich von der Bewunde rung des amerikanischen Publikums losreißen und nach Porthkerris zurückkehren würde, sah sie sich am einfahrenden Zug stehen, kühl und gefaßt, die perfekte Privatsekretärin. Und wenn er das nächste Mal eine spannende Reise ans andere Ende der Welt unternahm, würde er Emma vielleicht mitnehmen, und sie würde die Flüge bu chen und dafür sorgen, daß er die Anschlüsse erreichte, und Marcus über seine Schritte auf dem laufenden halten.
    Und dann, ein paar Tage später, kam ein Brief von Marcus, in London abgestempelt. Sie öffnete ihn

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