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Lichtfaenger 01 - Die Auserwaehlte

Lichtfaenger 01 - Die Auserwaehlte

Titel: Lichtfaenger 01 - Die Auserwaehlte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kuehnemann Nadine
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Gedankenverloren strich sie mit den Fingern über das makellos glatt polierte Metall. Sicherlich könnte sie das Instrument in der Stadt verkaufen. Es würde ihr vielleicht genügend Geld einbringen, um ihr eine ganze Woche lang das Stehlen zu ersparen. Sie seufzte und steckte die Flöte zurück in ihren Ausschnitt. Sie würde sie nicht verkaufen. Niemals zuvor hatte ihr jemand etwas derart Schönes geschenkt. Jil versuchte, sich das Gesicht des fremden Mannes ins Gedächtnis zu rufen. Seine Gesichtszüge waren scharf und männlich gewesen, die glatten schwarzen Haare ordentlich im Nacken zusammen gebunden. Sie hatte ihn niemals zuvor gesehen. Woher mochte der Mann gekommen sein, der sich mit Cryson vorgestellt hatte? Jil erinnerte sich an seinen leichten Akzent, den sie nicht zuzuordnen imstande war. Es war ein alberner Gedanke, aber sie wünschte sich, ihn noch einmal wieder zu sehen.
     
    *****
     
    Sie hatte nicht wirklich daran geglaubt, Cryson jemals wiederzusehen. Sie war zu dem Schluss gekommen, dass er sich vermutlich nur einen Spaß mit ihr erlaubt hatte, als er ihr ein Kompliment machte. Und sie war dumm genug gewesen, ihm Glauben zu schenken. Trotzdem entglitten ihr den ganzen Tag lang immer wieder die Gedanken. Sie konnte sein Gesicht nicht vergessen, es hatte sich mit einer beängstigenden Klarheit in ihr Gedächtnis gebrannt und ließ ihr keine Ruhe. Um sich abzulenken, hatte Jil sich tatsächlich dazu hinreißen lassen, Dana bis zum Nachmittag mit der Hausarbeit zu helfen, obwohl sie die neckischen Sticheleien ihrer Schwester fast wahnsinnig machten. Als die Sonne bereits tief am Horizont stand, machte Jil sich auf den Weg zum Hafen, um nach Firio zu sehen. Sein altes rostiges Fahrrad lehnte an der Wand seiner Scheune. Das Gefährt war neben seinem Akkordeon Firios ganzer Stolz. Er hatte es damals aus dem Wasser gezogen und sich wie ein kleines Kind darüber gefreut. Die Herbststürme des letzten Jahres hatten es an die Küste von Haven gespült.
    Jil klopfte an die hölzerne Tür, die von der Feuchtigkeit verzogen war. Der rostige Riegel war für ungebetene Eindringlinge kein Hindernis, aber Firio fürchtete sich nicht vor Einbrechern. Es gäbe nichts, das sich zu stehlen lohnte, das Akkordeon trüge er immer bei sich. Auch wenn Jil ihm mit der Erfahrung einer Taschendiebin in diesem Punkt beipflichtete, war es ihr dennoch unangenehm, dass Firio hier ganz allein und ohne den Schutz eines sicheren Türschlosses lebte.
    »Wer ist denn da?« Firios Stimme drang deutlich durch die dünnen Holzwände.
    »Ich bin es, Jil.«
    Sie hörte, wie Firio den Riegel beiseite schob. Dann öffnete sich die Tür mit einem Quietschen, das Jil durch Mark und Bein drang.
    Firios Anblick erschreckte Jil. Er sah müde aus und noch hagerer als in ihrer Erinnerung, und das, obwohl sie ihn erst vor wenigen Tagen zuletzt gesehen hatte. Seine Haare waren zersaust, dunkle Schatten umrahmten seine Augen. Als er Jil erblickte, verzog er das Gesicht zu einem breiten Grinsen, das ihn sogleich um Jahre jünger erscheinen ließ.
    »Ich kann mich nicht daran erinnern, wann du mich zuletzt zuhause besucht hast. Hast du mich überhaupt schon einmal hier besucht?« Firio kräuselte die Stirn, als müsste er nachdenken. »Ach, wen interessiert das. Wichtig ist, dass du jetzt da bist. Was verschafft mir die Ehre?« Er strich sich mit der Hand verlegen durch die Haare. »Ich kann dir überhaupt nichts anbieten.«
    Er bat Jil mit einer einladenden Handbewegung hinein. Es stimmte, Jil hatte ihn erst ein einziges Mal nach Hause begleitet, im Inneren seiner Hütte war sie nie gewesen. Sie ließ den Blick durch den Raum schweifen. Eine alte Matratze lag auf dem Boden, in einer Ecke stand ein kleiner, uralter Ofen. Ansonsten gab es noch einen Hocker und einen Tisch. Allem haftete ein schwacher Fischgeruch an. Jil schluckte. Sie hatte immer geglaubt, sie selbst wäre arm, aber Firio besaß noch sehr viel weniger als sie. Trotzdem war er immer gut gelaunt. Jil fühlte sich mit einem Mal schlecht.
    »Firio, ich wollte mich gar nicht lange bei dir aufhalten. Ich wollte nur wissen, ob es dir gut geht.«
    Firio zuckte die Achseln. »Weshalb sollte es mir denn nicht gut gehen, kleine Jil?«
    »Ich bin gestern Nacht schon einmal hier gewesen, aber du warst nicht daheim. Ich habe mir Sorgen gemacht.«
    Firio schnitt eine Grimasse, als glaubte er, Jil wolle scherzen. »Natürlich bin ich gestern Nacht hier gewesen. Vielleicht sollte ich lieber fragen, ob es

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