Lichtfaenger 01 - Die Auserwaehlte
Parfum.
»Woher wusstest du, wo ich wohne?« Langsam fand Jil wieder Zugang zu ihrem Verstand.
»Ich bin dir gestern nachgelaufen.« Er lächelte.
»Was willst du von mir? Kannst du nicht morgen früh wiederkommen? Es ist spät und ich bin müde.«
Seine Augen zuckten einige Sekunden lang wild hin und her, als müsse er angestrengt überlegen. »Ich kann nicht so lange warten«, flüsterte er.
»Warten? Worauf?« Jil verschränkte die Arme vor der Brust.
»Ich möchte dir etwas zeigen.« Der Tonfall in seiner Stimme verriet Jil, dass es ihm äußerst ernst damit war.
»Zeigen? Wenn es sich dabei um das Etwas hinter deinem Hosenstall handelt, dann muss ich dankend ablehnen.«
Cryson lachte. »Oh nein, du musst wirklich viele schlechte Erfahrungen in deinem Leben gemacht haben, oder? Ich möchte dir nicht zu nahe treten, sondern dich wirklich kennenlernen.«
»Wer würde mich kennenlernen wollen?« Jil drehte sich einmal um ihre eigene Achse und deutete dabei auf ihre Umgebung. »Sieh dich doch um. Ich bin arm, ich besitze nichts. Ich habe nicht einmal besonders hübsche Brüste. Außer dem Kerl von gestern Nacht wollte mich bislang nicht einmal jemand für sein Bett haben. Nun ja, abgesehen von Tino. Der hat mir sogar Geld dafür geboten.« Sie schnaubte verächtlich und schüttelte den Gedanken ab, bevor sie fortfuhr: »Was bitte veranlasst dich dazu, mir nachzustellen?« Jil hatte sich nun richtig in Rage geredet, obwohl ihr das immer breiter werdende Grinsen auf Crysons Gesicht nicht entgangen war.
»Siehst du, genau deshalb finde ich dich so interessant.« Er zwinkerte ihr zu. Jil war noch immer nicht gewillt, ihre gerunzelte Stirn und die vor Wut zusammengepressten Lippen zu entspannen.
»Du bist so erfrischend ehrlich und nicht auf den Mund gefallen«, fügte er an. »All die Frauen aus meinen Kreisen besitzen ihre Köpfe bloß zum Frisieren. Die interessieren mich nicht. Du interessierst mich.«
»Und was denkst du, was ich jetzt tun soll?«
»Sieh dir doch erst einmal an, wo ich wohne. Ich zwinge dich zu nichts, aber es ist mein größter Wunsch, diese einzigartige Frau aus diesem Elendsviertel zu befreien.«
»Ich bin doch kein kleines Kind, das man mit einem Stück Schokolade anlocken kann.«
Cryson legte seinen Mantel ab. Darunter trug er ein eng an der Haut anliegendes Hemd, das seine Muskeln umspielte. An seinem Gürtel baumelte ein Messer. Jil starrte wie gebannt darauf, als er es aus der Scheide zog. Sie setzte zur Flucht an und bereute bereits, sich je mit Cryson unterhalten zu haben, als er ihr die Klinge mit dem Griff voran entgegenstreckte. Verwirrt verharrte Jil in ihrer Bewegung.
»Nimm den Dolch«, sagte Cryson. »Du kannst mich untersuchen, ich habe keine andere Waffe.« Er drehte sich wie zur Demonstration einmal um die eigene Achse. Zögernd nahm Jil das Messer entgegen.
»Du darfst mir die Klinge meinetwegen an den Hals halten, während ich dir mein Haus zeige«, sagte er. »Natürlich sollst du es dir nur von außen ansehen. Ich schwöre dir, ich hege keine bösen Absichten.«
Jil starrte verdutzt auf die Klinge, die beinahe so lang war wie ihr Unterarm. »Wenn ich mir dein Haus ansehe, lässt du mich dann für heute Nacht in Ruhe?«
Cryson antwortete ihr mit einem stummen Nicken.
»Nun gut, dann werde ich dir diesen Gefallen tun. Aber ich warne dich: Ich werde nicht zögern, dieses Messer zu gebrauchen. Außerdem kann ich verdammt schnell laufen. Unterschätze mich bitte nicht.«
»Das tue ich nicht. Ich habe großen Respekt vor einer starken Frau wie dir.«
Gemeinsam verließen sie den Hof. Jil umfasste den Dolch mit festem Griff, jederzeit bereit, Cryson damit ernsthafte Verletzungen zuzufügen.
Er führte sie quer durch die Stadt. Schon bald hatten sie die ärmeren Viertel hinter sich gelassen. Die ganze Zeit über versuchte Cryson, sie mit belanglosem Gesprächsstoff bei Laune zu halten. Jil kam sich schon bald sehr albern vor, weil sie mit gezückter Waffe neben ihm her lief, gleichzeitig aber über seine Scherze lachte.
Sie erreichten ein Wohnviertel am nördlichen Ende der Stadt. Die Häuser standen hier locker verteilt entlang einer breiten Straße, jedes einzelne war von hohen Zäunen umgeben. Dichte Hecken schützten die Grundstücke vor fremden Blicken. Jil wusste, dass man das Viertel Breagan nannte, aber sie kannte sich hier nicht aus. Dies war keine bevorzugte Gegend für eine Taschendiebin. Es gab wenig Schlupfwinkel und kaum Möglichkeiten, ungesehen
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