Lichtfaenger 01 - Die Auserwaehlte
ungezwungen über eine Vielzahl verschiedener Themen, über die sich Jil bislang nie Gedanken gemacht hatte. So erfuhr sie, wo man in Haven den besten Tabak kaufen konnte, wo das Nachtleben am ausgelassensten tobte und welcher Sedhar sich wieder einmal gänzlich daneben benommen hatte. Jil entspannte sich zunehmend und begann, die Gesellschaft der Sedharym sogar zu genießen. Außer Cryson hatte ihr nie eine dieser Kreaturen Beachtung geschenkt, die über einen freundlichen Gruß hinausging. Vielleicht war das Leben hier unten doch nicht so übel. Irgendwann holte Gavin ein Kartenspiel hervor, und obwohl Jil mehrmals beteuerte, keine gute Spielerin zu sein, überredeten sie sie letztlich doch, ein paar Spielchen zu wagen. Wie erwartet, verlor Jil eine Partie nach der anderen. Schon bald hatte sie die drei Schilling, die sie zuvor in der Edelsteinwerkstatt gestohlen hatte, wieder verspielt. Jil war sich sicher, dass Eryll schummelte. Sie hatte wenig Spielerfahrung, beherrschte gerade die Grundregeln, doch ihr war niemals untergekommen, dass es in einem Satz Karten fünf Asse gab. Sie behielt ihren Kommentar für sich, weil sie die ausgelassene Stimmung nicht trüben wollte. Kurzzeitig schlich sich ein schlechtes Gewissen in einen Winkel ihres Bewusstseins. Ob Cryson sie bereits vermisste? Sie schob diesen Gedanken schnell von sich. Cryson ließ sich oft mehrere Tage lang nicht blicken. Es war unwahrscheinlich, dass er Jils Abwesenheit überhaupt bemerkte.
Als Jil all ihre Münzen verspielt hatte, lehnte sie sich im Stuhl zurück und beobachtete die anderen dabei, wie sie Wein tranken, lachten und mit vollem Eifer in ihr Spiel versunken waren. Man hätte beinahe vergessen können, dass es sich bei dieser fröhlichen Runde nicht um Menschen handelte, sondern um... Um was eigentlich? Dämonen? Geister? Außerirdische? Jil entschied, dass es ihr einerlei war. Es machte am Ende keinen Unterschied. Es waren armselige Kreaturen, die hier unter der Erde leben mussten. Es war eine Schande.
Plötzlich hielten die Sedharym in ihrem Bewegungen inne. Augenblicklich erstarben sämtliche Gespräche. Erst mehrere Sekunden später hörte auch Jil die Schritte auf der Treppe. Sie staunte immer wieder über die scharfen Sinne der Sedharym, die wesentlich früher als die von Jil anschlugen. Sekunden später wurde das Bettlaken beiseite geschoben und ein Mann tauchte auf der Türschwelle auf. Er hielt eine Flasche Whisky in der linken Hand. Jil hatte ihn noch nie zuvor gesehen. Seine Haare waren kurz und dunkel, seine Augen gerötet.
»Was geht denn hier vor?«, fragte er. Jil roch selbst über eine Distanz von drei Yards den Alkohol in seinem Atem.
»Das siehst du doch, Buel. Wir spielen Karten.« Joanas Stimme klang frostig und war voll unverhohlener Missbilligung.
Buel kam näher an den Tisch heran und musterte die Anwesenden. Als er Jil erblickte, zog er die Stirn kraus. »Was macht die denn hier?«
Bevor jemand antworten konnte, meldete Jil sich zu Wort. »DIE heißt Jil und ist offiziell hierher eingeladen worden. Ich bin die Auserwählte.« Sie betonte ihre letzten Worte absichtlich mit einem Hauch Ironie in der Stimme. Buel knurrte, sparte sich jedoch einen weiteren Kommentar. Schnell schien er das Interesse an Jil verloren zu haben. »Ich möchte mit euch spielen«, sagte er.
»Wir wollten gerade damit aufhören«, zischte Joana. Hastig sammelte sie die Karten vom Tisch.
»Ihr habt doch nur Angst, dass ihr gegen mich verliert!« Buel zog sich einen Stuhl heran, knallte seine Whiskyflasche geräuschvoll auf den Tisch und setzte sich zu ihnen. Mit seiner Ankunft hatte sich die ausgelassene Stimmung von einer Sekunde zur nächsten in ein trostloses Beieinandersein gewandelt.
»Weshalb sollte ich Angst haben zu verlieren? Du hast mich noch nie geschlagen«, sagte Eryll.
Kein Wunder, bei deinen Spielmethoden , dachte Jil.
»Dann spiele gegen mich«, forderte Buel ihn auf und lehnte sich weiter über den Tisch. »Du schuldest mir ohnehin noch Geld.«
Erylls Miene verfinsterte sich. »Ich schulde dir kein Geld.«
»Doch das tust du. Und du weißt auch genau, wofür!« Buel ließ die Anwesenden einen kurzen Blick auf die Innentasche seiner Jacke werfen. Jil konnte nicht genau erkennen, was er darin versteckte, aber es sah aus wie ein Beutel, prall gefüllt mit irgendeinem Pulver. Erylls Gesicht lief rot an. Ob vor Scham oder Wut vermochte Jil nicht zu beurteilen. Er verengte die Augen zu Schlitzen. »Ich denke nicht, dass
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