Lichtfaenger 01 - Die Auserwaehlte
reparierte (von denen es in der Stadt mehr als genug gab). Sogar ein Gasthof bot den Bürgern eine Möglichkeit zum geselligen Beisammensein.
Jil blieb vor einem flachen Gebäude stehen, das ihr bei ihren letzten Streifzügen bislang nicht aufgefallen war. Es lag am Rand von Sedhia, nahe dem Badehaus. Es war kaum höher als Jil selbst und seine Eingangstür war entsprechend niedrig. Als Wohnhaus für einen hoch gewachsenen Sedhar wäre es wohl kaum geeignet gewesen. Und überhaupt sah es so ganz und gar nicht nach einem Wohnhaus aus. Die anderen Häuser waren alle mindestens zweistöckig, die meisten mit Balkonen an der Vorderfront. Jil fiel auf, dass die Tür dieses kleinen Flachbaus keine der metallenen Sicherheitstüren war, die die Sedharym fast in alles einbauten, das vier Wände und ein Dach hatte. Es war eine einfache grün gestrichene Holztür. Jil betätigte vorsichtig die Klinge, doch die Tür war verschlossen. Jils Neugier meldete sich und nagte so lange an ihr, bis sie schließlich nach einem der grün gestrichenen Fensterläden griff, ihn einen Spalt weit öffnete und durch die staubblinde Scheibe spähte. Doch es war vergebens. Es war dunkel im Inneren des kleinen Hauses. Sie wandte sich gerade enttäuscht ab, als hinter ihr jemand auftauchte. Sie musste einen Schrei unterdrücken. Die Sedharym verfügten über ein unübertroffenes Talent, sich ungesehen anzuschleichen. Jil blickte zu dem Mann auf, doch sie hatte ihn nie zuvor gesehen.
»Entschuldigung, ich wollte nicht…«, stammelte sie.
»Spionieren?«, fiel er ihr ins Wort. Er lächelte und strich sich mit der Hand über seine kurz geschorenen Haare. Er war ein hässlicher Bursche mit einem markanten Kinn und einer spitzen Nase.
Jil stemmte die Hände in die Hüften und sah zu ihm auf. »Was gibt es denn hier zu spionieren?«, zeterte sie. »Mich hat lediglich gewundert, welchen Zweck diese Bruchbude wohl erfüllen mag.«
Er ignorierte ihren Kommentar. »Du bist doch Crysons Fundstück, nicht wahr?« Seine Stimme klang ruhig und freundlich. »Dann sollte ich dich wohl besser gut behandeln, wie?« Er zwinkerte.
Jil nahm die Hände wieder herunter. »Meinetwegen musst du mich überhaupt nicht behandeln. Lass mich einfach in Ruhe.« Jil machte einen Schritt zur Seite und wandte sich ab, um ihm unmissverständlich zu zeigen, dass sie kein Interesse daran hatte, sich mit einem hässlichen Widerling zu unterhalten. Sie wollte doch bloß ein wenig spazieren gehen und dabei nachdenken.
»Ich heiße Jules«, sagte er ungeachtet ihrer offenkundigen Ablehnung. Jil spürte seine massige Hand auf ihrer Schulter. Widerwillig blieb sie stehen. »Möchtest du wissen, was das für ein Haus ist?«, fragte er. »Ich kann es dir sagen. Oder noch besser: Ich zeige es dir.«
Jil wandte sich ihm wieder zu. Vielleicht war dieser Jules doch zu etwas zu gebrauchen, wenn auch nur dazu, ihr die Langeweile zu vertreiben.
Er zog einen Schlüssel aus der Tasche seines Cordmantels. Er schloss die kleine Holztür auf und bedeutete Jil mit einer Geste, den Raum zu betreten. Noch vor ein paar Wochen wäre sie niemals der Aufforderung eines fremden Mannes gefolgt, ihm in ein verlassenes Gebäude zu folgen. Allein der Gedanke daran war absurd. Doch Jil wusste, weshalb die Sedharym sie freundlich behandelten und ihr niemals etwas antun würden. Immerhin war sie diejenige, die ihr Volk aus diesem dunklen Loch befreien konnte. Das Wissen um ihre Unantastbarkeit nahm Jil sämtliche Angst und Vorsicht.
Jil zog den Kopf ein und betrat den Raum, Jules folgte ihr. Er musste mächtig in die Knie gehen, um sich durch den niedrigen Eingang quetschen zu können. Es war dunkel im Inneren des Gebäudes, lediglich ein wenig Licht fiel durch die Ritzen zwischen den Fensterläden. Jils Augen benötigten einige Sekunden, um sich an die Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Das Haus bestand nur aus einem einzigen Raum, der gerade einmal vier Yards zu allen Seiten maß. In der Mitte klaffte ein Loch im Boden, das allein die Hälfte des Raumes einnahm. Jil erkannte, dass einige Treppenstufen hinab führten. Neben dem Loch im Boden lehnte ein Brett an der Wand, das vermutlich das Loch abdecken sollte, wenn es nicht benötigt wurde. In einer anderen Ecke lehnte ein aufgerollter Teppich. Ansonsten gab es hier nur ein hohes Wandregal und einen Schreibtisch, auf dem das pure Chaos herrschte. Glänzende Steine jeder erdenklichen Farbe, kleine Bohrer, Draht, Feilen, Hammer und Meißel lagen wirr darauf
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