Lichtfaenger 01 - Die Auserwaehlte
glitt sein Blick auf die Flaschen auf dem Tisch. »Das ist das Ungeheuerlichste, was mir je untergekommen ist«, zischte er. »Ich dachte, Francis benutzt diesen Raum, um Edelsteine darin zu lagern. Wo sind die Steine hin? Und weshalb sieht es hier aus wie in einem Bordell? Alkohol, bunte Teppiche...« Sein Blick wanderte zu Jules. »Und gerade von einem Finanzverwalter habe ich Ehrlichkeit erwartet! Wie sehr man sich täuschen kann.«
Gavin räusperte. »Die Steine sind schon lange weg. Seit der Raum leer ist, benutzen wir ihn... Nun ja, als private Schänke.«
Cryson schüttelte nur ungläubig den Kopf. Er öffnete ein paar Mal den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn dann aber wieder. Als er seine Sprache endlich wiedergefunden hatte, sagte er: »Die Steine habt ihr wohl verhökert, um euch Drogen davon zu kaufen. Ich fasse es nicht. Aber was ich am schlimmsten finde« - sein Blick glitt hinüber zu Jil - »ist, dass ihr das Mädchen damit hineinziehen musstet. Das wird noch ein Nachspiel haben!«
Mit diesen Worten schleuderte er den Pulverbeutel gegen eine Wand, griff nach Jils Oberarm und zerrte sie wie ein kleines Kind hinter sich her, die Treppe hinauf, zurück nach Sedhia und schließlich in den Fahrstuhl zu seinem Wohnturm. Er hatte den ganzen Weg über geschwiegen und auch Jil hatte es für angebracht empfunden, seine Wut nicht weiter zu schüren. Erst als sie in seinem Schlafzimmer angekommen waren und Cryson sich auf die Bettkante fallen ließ, fand er seine Sprache wieder »Das hätte ich von dir nicht erwartet«, sagte er leise, aber er konnte seinen immer noch schwelenden Zorn nicht verbergen. Er fuhr sich mit den Händen durch die langen dunklen Haare, die ihm offen über die Schultern hingen. »Eigentlich hätte ich es wohl erwarten müssen, es war dumm von mir, dich so lange allein zu lassen.«
»Ich bin kein kleines Kind mehr«, sagte Jil. »Und es ist absolut nichts passiert, bis dieser Buel aufgetaucht ist. Wir haben Karten gespielt und ein wenig Spaß gehabt. Was ist schlimm daran?«
»Was schlimm daran ist? Dass sie sich heimlich dort unten treffen ist schon schlimm genug. Ich weiß, dass Buel ein Unruhestifter ist, aber das gibt niemandem das Recht, gegen das Gesetz zu verstoßen. Wir haben hier Regeln, Jil. Sie haben sich unrechtmäßig bereichert. Glücksspiele und illegaler Handel mit Drogen kann nicht geduldet werden. Wenn jeder hier unten seine eigenen Gesetze aufstellen würde, dann wären wir bald...« Er schüttelte den Kopf und machte eine abwertende Handbewegung. »Ach, lassen wir das. Du verstehst es nicht. Und das musst du auch nicht. Ich habe dir etwas anderes zu berichten. Deshalb hatte ich dich auch gesucht.«
Jil war froh, als Cryson unvermittelt das Thema wechselte. »Du wirst morgen früh an die Oberfläche gehen und damit beginnen, nach dem Licht zu suchen.«
Jil runzelte sie Stirn. Dies hatte sie nun wahrlich nicht erwartet. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber ihr wollten keine passenden Worte einfallen.
»Ich weiß, dass es dir ein wenig überstürzt vorkommen muss.« Cryson winkte Jil zu sich heran. Sie setzte sich neben ihn auf die Bettkante.
»Ich möchte es lieber heute als morgen in Angriff nehmen«, sagte er. Selbst wenn er saß, überragte Cryson Jil noch um mehr als eine Kopflänge. Sie sah zu ihm auf.
»Du bist bestens vorbereitet«, sagte er. »Du kennst die Karten, du weißt, was du zu tun hast.«
Jil spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte. »Ich hatte gehofft, dass dieser Tag noch weit weg ist.«
Cryson griff nach ihrer Hand. »Jeder Tag ist so gut wie der morgige. Indem wir es weiter aufschieben, gewinnen wir nichts.«
Der Kloß in ihrem Hals erschwerte Jil das Sprechen. Sie räusperte. »Wie soll ich nach Falcon’s Eye gelangen? Du hast gesagt, der Zugang über das Unterreich sei keine Option.«
»Es ist alles organisiert, mach dir keine Sorgen«, sagte Cryson. Jil beschlich das Gefühl, dass er selbst nicht halb so zuversichtlich war, wie er vorgab. »Die Menschen von Falcon’s Eye verlassen ihre Insel nur selten, aber auch sie sind wie jeder andere auf Bedarfsgüter angewiesen. Jeden Tag fahren Schiffe hinüber und bringen Waren.« Cryson strich mit seiner großen Hand durch Jils Haare. Jil war allzu große Nähe grundsätzlich zuwider, aber sie ließ ihn auch dieses Mal gewähren.
»Auch auf Falcon’s Eye gibt es Korruption und Kriminalität, auch wenn man selten darüber spricht«, fuhr er fort. »Jedenfalls gibt es
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