Lichtfaenger 2 - Bruderkrieg
kann durchaus von Bedeutung sein«, sagte Lesward in belehrendem Tonfall. »Kennst du deine Eltern? Oder deine Großeltern?«
»Ich kenne meine Eltern. Und sie waren so menschlich, wie Menschen nur sein können«, stieß Jil hervor.
»Willst du damit sagen, sie hat das Blut der Sedharym in sich?«, mischte Nola sich ein. »Lesward, die Kleine ist vielleicht zwanzig Jahre alt. Die Sedharym können seit Jahrhunderten keine Kinder mehr zeugen ohne das Licht. Das würde bedeuten, es muss jemand von den Vartyden gewesen sein.«
»Ihr braucht gar nicht weiter darüber zu diskutieren«, empörte Jil sich. »Mein Vater war ein gottverdammter Säufer und meine Mutter ist früh gestorben.«
Lesward kaute auf seiner Unterlippe. Er schien konzentriert nachzudenken. »Vielleicht liegt das Ereignis auch weiter als eine Generation in der Vergangenheit. Du weist keinerlei Eigenschaften eines Sedhars auf. Wäre dein Vater oder deine Mutter einer gewesen, hättest du nicht zwanzig Jahre lang im Tageslicht überleben können. Wie dem auch sei, was machen wir jetzt mit ihr?«
»Um das zu erfahren, bin ich zu dir gekommen«, sagte Ray.
»Es besteht kein Zweifel, dass sie hier bleiben muss«, sagte Lesward und klatschte in die Hände. »Ich entscheide später, was wir mit ihr machen.«
Nola erhob sich seufzend von ihrem Stuhl. »Ich kümmere mich jetzt erst einmal um sie. Sie braucht Kleidung und etwas zu essen.« Sie funkelte Lesward böse an. »Im Versorgen von Menschenfrauen sollte ich mittlerweile Übung haben, nicht wahr?«
*****
Der Abend kroch über das Land und hüllte es in zunehmende Dunkelheit. Immer mehr Lichter tanzten in der Ferne entlang der Küste von Haven. Viele Menschen saßen jetzt beim Abendessen hinter ihren schützenden Mauern, diskutierten, lachten oder stritten sich. Ray beneidete sie um ihre Unbeschwertheit, auch wenn das Leben für den ein oder anderen arbeitsreich und beschwerlich sein mochte. Weder ahnten sie etwas von den Dingen, die unterhalb ihrer asphaltierten Straßen vor sich gingen noch waren sie sich darüber bewusst, dass jemand sein Leben für sie riskierte, damit sie weiterhin ihren einfältigen Beschäftigungen nachgehen konnten.
Ray zündete sich eine Zigarette an. Es war für ihn zu einer Gewohnheit geworden, obwohl er keinen Nutzen darin sah. Er hatte einmal gehört, dass Menschen eine Abhängigkeit von Zigaretten entwickelten. Vielleicht war es ähnlich wie der Hunger nach dem Sedhiassa . Ray schnaubte verächtlich. Man konnte diese Dinge nicht miteinander vergleichen. Rauchen war sicherlich nicht lebensnotwendig.
Ray stieß den Rauch durch die Nase aus. Er schmeckte nicht einmal besonders gut. Er warf die Zigarette die Klippen hinunter und beobachtete, wie sie auf der Wasseroberfläche trieb. Das Rauschen des Meeres beruhigte ihn. Es war eine willkommene Abwechslung zu den Geräuschen unterhalb der Erde, die sich auf das mechanische Klopfen und Zischen der Türen und Kevels beschränkten. Der Chor der nächtlichen Insekten hingegen war wie Musik in seinen Ohren. Der Wind strich durch die derben Grasbüschel am Ufer und streichelte Rays Haut. Die Nacht war wunderschön. Lesward hatte Ray verboten, sich heute Abend ihrem Feldzug gegen eine Gruppe Sedharym anzuschließen. Obwohl Ray sich selten an Abmachungen hielt, stand ihm der Sinn heute ganz und gar nicht mehr nach Blutvergießen. Er genoss die Einsamkeit in vollen Zügen. Niemand war hier, der ihm Befehle erteilen und ihn mit seiner bloßen Anwesenheit zur Weißglut treiben konnte. Letzteres galt ganz besonders für Jil. Auch wenn Ray sich noch immer dafür schämte, sie jemals mit nach Varyen genommen zu haben, war er doch froh, dass die Wahrheit jetzt heraus war. Er wollte nichts mehr mit dieser Sache zu tun haben. Sollte Lesward sich etwas für sie überlegen. Er pochte doch auch sonst immer darauf, dass er die Entscheidungen traf. Ray hasste sich selbst dafür, dass seine Gedanken immer wieder zu dem Moment zurückkehrten, als sich seine und Jils Lippen zum ersten Mal berührt hatten. Er wollte diese Erinnerung loswerden, es war eine inakzeptable Schwäche.
Ray griff in die Innentasche seines Mantels und zog die kleine Flasche mit der bräunlichen Flüssigkeit hervor. Er öffnete den Verschluss und roch am Flaschenhals.
Whisky.
Er stürzte den Inhalt hinunter, als handelte es sich um Wasser. Er spürte die Wärme, die sich von innen her bis in seine Fingerspitzen ausbreitete. Schade, dass eine kleine Flasche nicht
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