Lichtfaenger 2 - Bruderkrieg
ruderte, bis ihre Muskeln in den Armen zitterten und ihr schweißnasses Hemd an ihrem Rücken klebte. Das andere Ufer wollte einfach nicht näher kommen, es schien sich wie zum Hohn immer weiter von ihr zu entfernen. Zum Glück war die verwitterte Nussschale wasserdicht.
Dana hatte sich die Überfahrt weitaus weniger anstrengend vorgestellt. Schon bald wollten ihr Tränen in die Augen steigen, doch Dana kämpfte dagegen an. Die Heulerei hatte ihr noch nie einen Vorteil eingebracht. Dana biss sich auf die Unterlippe und wandelte die aufkeimende Verzweiflung in einen wütenden, unerbittlichen Rhythmus um, der sie mit jedem Zug an den Rudern näher an das Heimatufer brachte. Jil, sie musste Jil finden. Der Gedanke verlieh ihr Kraft. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte sie schließlich das Ufer von Haven erreicht. Einige Passanten lehnten an der Mauer der Hafenpromenade und beobachteten schon seit einer ganzen Weile Danas Ruderboot, wie es sich näherte und schließlich an einem kleinen Privatsteg anlegte. Dana wusste, dass die Blicke mehrerer Augenpaare auf ihr ruhten, aber sie interessierte sich nicht dafür. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da hätte sie diese Gafferei wahnsinnig gemacht und ihr die Schamesröte ins Gesicht getrieben, doch die schüchterne Dana von damals gab es nicht mehr, durfte es nicht mehr geben. Mit grimmiger Wut im Bauch stieg Dana aus dem Boot heraus. Sie machte sich nicht einmal die Mühe, es zu befestigen oder zu verstecken. Sie würde es nie wieder benötigen. Ihre Hände schmerzten, Wasserblasen hatten sich an den Stellen gebildet, an denen die Ruder auf ihrer Haut gerieben und gedrückt hatten. Sie rannte über den kleinen Steg und kletterte über einen hüfthohen Zaun, der das Privatgrundstück von der öffentlichen Straße trennte. Mittlerweile war die Sonne untergegangen.
Die Erleichterung über ihre gelungene Flucht ließ Dana alle Schmerzen vergessen. Sie hatte gehofft, Jil auf Falcon’s Eye zu finden, und obwohl ihr Vorhaben gescheitert war, hatte sie dennoch dabei gewonnen. Sie wusste nun, was dieser niederträchtige Lesward mit ihrer Schwester plante, außerdem hatte er sie endlich wachgerüttelt. Er hatte ihr das naive ängstliche Mädchen ausgetrieben, dafür sollte sie ihm eigentlich dankbar sein.
Dana stieg der Geruch von Rauch in die Nase. Auch die anderen Menschen am Ufer wandten besorgt die Köpfe. Irgendwo brannte es. Ein rötlicher Schimmer lag über der Stadt. In der Ferne gellten Schreie durch die Luft.
»Jil! Jil!« Dana rannte die Hafenpromenade entlang und schrie aus voller Kehle immer wieder den Namen ihrer Schwester. Sie wusste, dass Haven groß und die Wahrscheinlichkeit, dass Jil sie hörte, gering war, trotzdem brachen die Worte in ihrer Verzweiflung immer wieder aus ihr heraus. »Jil! Wo bist du?«
Jil hatte ihr erzählt, dass ihr bester Freund Firio in einer Hütte direkt am Ufer wohnte, nahe der zerstörten Lagerhalle. Dana klammerte sich an die Hoffnung, ihre Schwester dort zu finden. Ihre Lungen brannten und ihr Herz hämmerte heftig gegen ihre Rippen, als sie endlich die Lagerhalle erreichte, die in der Vergangenheit einer gewaltigen Explosion zum Opfer gefallen sein soll. Nur noch das rußgeschwärzte Fundament war davon übrig geblieben. Es bot einen traurigen Anblick, der Dana dazu veranlasste, für einen Augenblick stehen zu bleiben und inne zu halten. Als Dana schließlich den Kopf wandte, entdecke sie etwas, das ihr einen Schrecken durch die Glieder fahren ließ. Auf einer kleinen Landzunge direkt am Ufer, keinen Steinwurf von ihr entfernt, stand eine hölzerne Hütte lichterloh in Brand. Es musste die Hütte des Straßenmusikers sein. Es war das einzige Gebäude weit und breit, das direkt am Ufer stand. Das Feuer erhellte die gesamte Promenade. Dichte Rauchschwaden, die von mehreren Brandherden in der gesamten Stadt ausgingen, krochen durch Straßen und Gassen.
Kapitel 5
Jil fühlte sich nicht nur seelisch wie ein geprügelter Hund, der reumütig nach Hause zurückkehrte, auch ihr Körper schmerzte, als hätte sie an einer Schlägerei teilgenommen. Von der Wucht des Aufpralls gegen den Baum schwirrten ihr noch immer die Sinne, sie hatte sich bereits mehrfach übergeben müssen. An ihrem Hinterkopf prangte eine beachtliche Beule, die Haut an den Unterarmen war abgeschürft. Sie hätte sich auch gut und gerne das Genick brechen können, doch das hatte Lesward wohl in Kauf genommen.
Es war bereits später Nachmittag, als sie in die
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