Lichtfaenger 2 - Bruderkrieg
Straße einbog, in der sich ihr Elternhaus befand. Ihre Brust schnürte sich zusammen, ein Gefühl der Beklemmung machte sich breit. Es war, als würde sie sich an ein Ereignis in ihrer frühen Kindheit erinnern, an das sie jahrelang nicht gedacht hatte, dabei hatte sie erst vor wenigen Tagen zuletzt das Gartentor geöffnet und war den Weg bis zur Treppe vor der Küche hinauf gegangen. Es war der Tag gewesen, als sie sich die Überfahrt nach Falcon’s Eye gekauft hatte. Wie lange war das her? Drei Jahre?
Sie unterdrückte ein Stöhnen, als sie nach dem Geländer griff und sich die wenigen Stufen hinauf zur Küchentür schleppte. Das Geld, das sie damals auf die Türschwelle gelegt hatte, war verschwunden. Natürlich war es verschwunden. Das Leben war für Brad und Dana weiter gegangen, auch ohne Jil. Es versetzte ihr einen Stich in die Brust. Jil betätigte die Klinke. Die Tür war abgeschlossen. Sie drückte ihr Gesicht gegen die kleine Scheibe im oberen Drittel der Tür und spähte hinein. Es war vollkommen still und dunkel in der Küche. Auf der kleinen Anrichte stapelte sich schmutziges Geschirr. Es sah Dana gar nicht ähnlich, das Haus zu verlassen ohne zuvor aufzuräumen. Dann erinnerte sich Jil plötzlich wieder an Leswards Worte, nach denen er Dana in Varyen gefangen hielt. Jils Herz machte einen Sprung. Wie hatte sie das vergessen können? Der Schlag auf den Hinterkopf musste ihr schwer zugesetzt haben. Sie wandte sich von der Küchentür ab und ging um das Haus herum auf die Terrasse. Die Tür, die zum Wohnzimmer führte, war nur angelehnt. Vermutlich war der Vater erst am Nachmittag volltrunken nach Hause zurückgekehrt, hatte im Suff vergessen, die Tür hinter sich zu schließen und lag nun schnarchend auf dem Sofa. Jil zögerte einen Moment. Sie war nicht sicher, ob sie nach ihm sehen wollte. Wie würde er reagieren, wenn er die verlorene Tochter wiedersah? Sicherlich würde er ihr Vorhaltungen machen und nach ihr schlagen. Jil stieß die Tür zur Stube auf und steckte den Kopf hindurch. Ein muffiger Geruch schlug ihr entgegen. Keine Lampe brannte, auch der Ofen war kalt. Alles machte den Anschein, als sei tagelang niemand mehr hier gewesen. Jil betrat den Raum und sah sich um. Vom Vater fehlte jede Spur. Die Decken auf dem Sofa waren glatt gestrichen, der Boden war gefegt. Die Gläser in der Vitrine standen noch immer fein säuberlich nach Größe geordnet nebeneinander, genau wie es Jil in Erinnerung geblieben war. Dann fiel ihr Blick auf den Kaminsims. Zwischen dem vergilbten Portrait ihrer Mutter und einer scheußlichen Tonvase klaffte eine Lücke. Das Bügeleisen fehlte. Es lag auf dem Parkettboden, daneben ein getrockneter Blutfleck. Jil bückte sich und strich mit den Fingern die Linien des Fleckes nach. Er war alt. Was war hier geschehen? Mit einem Mal fühlte Jil sich unwohl, sie stürzte wieder hinaus ins Freie auf die Terrasse. Jil wollte nicht wissen, was hier geschehen war, wollte mit diesem Haus und diesem Leben nichts mehr zu tun haben. Weshalb war sie überhaupt hierher gekommen? Sie hatte sich doch geschworen, niemals wieder zurückzukehren.
Es dämmerte, als Jil das Gartentor hinter sich schloss und auf die Straße hinaus stolperte. Kurt, der Nachbarsjunge, der gerade einen Eimer Schmutzwasser in den Rinnstein schüttete, warf ihr einen verstörten Blick zu, sagte aber nichts. Auch die alte Frau von gegenüber, die am Fenster stand und Jils Versuche, trotz des Schwindels geradeaus zu laufen, beobachtete, zuckte nur die Achseln. Anscheinend hatte sie niemand hier vermisst. Die Leute mussten glauben, dass Jil betrunken war oder unter Drogeneinfluss stand, aber selbst das würde hier niemanden verwundern. Jil ignorierte die Blicke der Leute und schlurfte zurück in Richtung Innenstadt. Sie wusste nicht, wohin sie gehen sollte. Es gab keinen Ort mehr, den sie ein Zuhause nennen konnte.
In der Stadt herrschte ein heilloses Durcheinander. Menschen rannten über die Straßen und rempelten sich dabei gegenseitig an, Kinder weinten und kreischten hysterisch. Mehrere Häuser standen in Brand. Die ganze Stadt war erfüllt von Rauch und dem Gestank nach verbranntem Holz und Fleisch. Etwas Furchtbares musste hier geschehen sein.
Umgekippte Pferdekutschen versperrten den Menschen den Weg, sie zwängten sich wie Vieh durch die verbliebenen Lücken auf dem Gehsteig. Jil war als einzige in entgegengesetzter Richtung unterwegs, mehrmals wurde sie jedoch von dem Strom der panisch flüchtenden
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