Lichtfaenger 2 - Bruderkrieg
spürte, wie die Wunde zu kribbeln begann und der Schmerz mit jeder Sekunde nachließ. Ein Gefühl der Euphorie durchströmte sie. Es war ein Hochgefühl, eine Ekstase, die sie nie zuvor erlebt hatte. Als Cryson sich von ihr löste, fühlte sie sich wie nach gutem Sex. Jil schämte sich dafür.
»Was machst du mit mir?«, fragte sie. Ihre Stimme klang seltsam dünn.
»Deine Wunde muss heilen, bevor sie sich entzündet.«
Jil blickte auf ihren Oberarm hinab. Eine dünne Schorfschicht bedeckte die Wunde. Sie sah aus, als sei sie schon mindestens eine Woche alt.
»Ich verstehe nicht…«
»Was in die eine Richtung funktioniert, funktioniert auch in die andere Richtung.« Cryson zwinkerte ihr zu und ein schelmisches Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit. Dann bugsierte er Jil mit einem Schubs gegen ihre Schultern in den Gang hinein. Jil schwirrte noch immer der Kopf. Jeden Tag erlebte sie ein neues Wunder.
Cryson begleitete sie durch das Labyrinth der Gänge bis ins Herz von Sedhia hinein, in die große Halle mit den seltsam anmutenden turmähnlichen Gebäuden. Obwohl sich seit ihrem letzten Besuch in dieser wundersamen Stadt wenig verändert hatte, war die Atmosphäre damals doch eine völlig andere. Latris, die eiförmigen dampfbetriebenen Fahrzeuge der Sedharym, fuhren kreuz und quer durch die Straßen. In manche von ihnen quetschten sich mehrere Sedharym, zum Teil saßen sie sogar außen auf der Karosserie. Sie johlten und grölten, feuerten Schüsse in die Luft und sangen schmutzige Lieder, die Dana vermutlich vor Scham hätten zerfließen lassen. Überhaupt war es voll in den Straßen, bewaffnete Männer und Frauen stürmten in alle Richtungen auf die zahlreichen Gänge zu, die von der großen Halle abzweigten. Die Luft war erfüllt von Qualm und dem Geruch nach Schießpulver.
»Da ist sie ja!« Ein Mann, der an einer Laterne lehnte, blickte Jil ins Gesicht und brach sofort in freudiges Geschrei aus. Jil konnte sich nicht daran erinnern, ihn je gesehen zu haben. Er hatte strähnige mausgraue Haare und Augen von der Farbe schmutzigen Pfützenwassers. Er trug einen Gürtel, an dem zwei lange Säbel baumelten. Er kam mit großen Schritten auf Jil und Cryson zu. Ungefragt griff er nach Jils Schultern und rüttelte sie, bis ihr das Genick schmerzte.
»Du bist eine Heldin! Du hast es geschafft! Unsere Königin!«
»Nun komm wieder auf den Teppich, Louis«, sagte Cryson.
»Wo hast du sie gefunden?« Louis’ Augen leuchteten vor Begeisterung.
»Im Park. Ich habe sie vor einem Vartyd gerettet, der unseren Sieg in letzter Sekunde noch vereiteln und ihr das Sedhiassa abnehmen wollte.« Stolz schwang in seiner Stimme mit. Jil hatte Cryson noch nie so erlebt. Sie kannte ihn als einen ruhigen, besonnenen Mann. Sie fühlte sich, als träumte sie. Das alles erschien ihr so unwirklich. Sie konnte nicht begreifen, dass sie etwas getan haben sollte, das die Sedharym so in Aufregung versetzte.
Louis ließ von Jil ab und musterte sie von oben bis unten. »Wie siehst du eigentlich aus?«, fragte er mit abschätziger Miene. »Woher hast du denn diese furchtbare Kleidung?«
»Ich habe sie von einer Vartydenfrau, die so freundlich war, mir die Sachen zu schenken«, sagte Jil verbittert. Louis verzog das Gesicht und schüttelte ungläubig den Kopf. »Du musst dort wirklich sehr gelitten haben.«
Ein bittersüßes Lächeln schlich sich über Jils Züge.
Gelitten? Nun ja, ich habe mich in Varyen prächtig amüsiert. Und verdammt guten Sex gehabt.
»Wie dem auch sei, Jil hat sich jetzt ein wenig Ruhe verdient«, sagte Cryson und strich mit der Hand über Jils dichtes Haar.
»Was ist denn das?«, stieß Louis entsetzt hervor und deutete auf Jils Kopf. Sie dachte zunächst, dass er wieder einmal an ihr herummäkeln wollte, doch dann begriff sie, dass er von Crysons Hand sprach. »Dir fehlen zwei Finger!«
Cryson zog seine Hand zurück und betrachtete sie mit einem missfälligen Blick. »Die habe ich beim Kampf mit dem Vartyd vorhin im Park verloren. Ich habe immerhin nur zwei Finger verloren, der Vartyd muss jetzt zusehen, wie er ohne Kopf zurechtkommt.« Er stieß ein bitterböses Lachen aus. Er wirkte fremd auf Jil, es war nichts mehr übrig von dem höflichen Gentleman, der sie einst so unterwürfig um Hilfe gebeten hatte.
Ein Mann eilte an ihnen vorüber, Jil spürte den Luftzug auf ihrer Haut, als er schnell wie ein Schatten seiner Wege ging. Jil drehte sich nach ihm um. Die vielen Sedharym, die sich in der Stadt
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