Lichtfaenger 2 - Bruderkrieg
mit dem rötlichen Schimmer des Feuers, das mittlerweile scheinbar in großen Teilen der Stadt wütete. Jil wusste nicht, wohin sie gehen sollte. Unter keinen Umständen konnte sie zurück in die Stadt, zumindest nicht, solange derjenige, der ihr nach dem Leben trachtete, den Eingang zum Park beobachtete. Aber war dieser Ort hier sicherer? Plötzlich spürte Jil tausend Augenpaare auf sich, obwohl offensichtlich niemand in der Nähe war. Wenn es stimmte, dass die Sedharym sie nur als Werkzeug benutzt hatten und keine guten Absichten hegten, war auch der Stadtpark kein sinnvoller Aufenthaltsort für eine an ihrer Aufgabe gescheiterten Taschendiebin. Noch während sie sich darüber den Kopf zerbrach, welche Option die klügere Entscheidung sei, knackte im Baum über ihr ein Ast. Jils Herz setzte für einen Schlag aus, reflexartig machte sie einen Sprung nach vorn und stieß einen kurzen Schrei aus. Noch ehe sie ein weiteres Mal Luft holen konnte, landete jemand mit einem dumpfen Aufprall genau an der Stelle auf dem Waldboden, an der sie noch eine Sekunde zuvor selbst gestanden hatte. Es ging zu schnell, als dass Jil begreifen konnte, was geschah. Alles, was sie in einem flüchtigen Augenblick erkennen konnte, war ein glühendes Augenpaar. Schnell wie ein Windstoß war der Sedhar herumgewirbelt, Jil konnte nicht einmal sein Gesicht erkennen. Sie duckte sich, es war mehr ein Reflex als eine überlegte Handlung. Dann peitschte ein Knall durch die Luft. Ein brennender Schmerz schoss in Jils Oberarm, nur einen Sekundenbruchteil später spürte sie eine kräftige Hand, die sich um ihre Kehle legte und sie emporriss wie ein Spielzeug. Zum ersten Mal konnte Jil ihrem Angreifer ins Gesicht sehen. Er hatte kurz geschorene dunkle Haare, seine Kieferknochen waren breit und seine Augen lagen tief in ihren Höhlen. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck grimmiger Schadenfreude.
»Gute Nacht«, hauchte er mit einem bitteren Lächeln auf den Lippen. »Der Schuss war nicht tödlich, aber vielleicht macht es mir auf diese Art ohnehin mehr Spaß.« Er stieß ein kaltes Lachen aus. »Lesward hatte Recht, du wolltest nach Sedhia zurückkehren. Dir mag es gelungen sein, uns zu bestehlen, aber zum Glück bin ich gekommen, bevor du mit deiner Errungenschaft ins Parasitennest zurückkehren kannst.«
Jil verstand nicht, wovon er sprach, und sie bekam keine Gelegenheit mehr dazu, darüber nachzudenken, denn der Vartyd schloss seine Hand immer fester um ihren Hals. Jil öffnete den Mund und schnappte nach Luft, aber ihre Kehle war zugeschnürt. Der Schmerz in ihrem Arm rückte angesichts des quälenden Sauerstoffmangels mehr und mehr in den Hintergrund. Jil strampelte und schlug mit den Fäusten gegen den massigen Arm des Mannes, doch er ließ sich davon nicht beeindrucken. Schon begann die Szene zu verschwimmen, dunkle Flecken tanzten vor ihren Augen.
Jil vernahm ein metallenes Klacken, nur einen Lidschlag später riss eine jähe Erschütterung ihren Verfolger von den Beinen. Jil glitt aus seinem Griff und fiel zu Boden. Sofort strömte kühle Luft in ihre Lungen, sie hustete. Nur im Augenwinkel sah sie, wie der fremde Mann rückwärts taumelte und einen jenseitigen Schrei ausstieß, der mehr nach einem Tier als nach einem Menschen klang. Etwas sprang schnell wie ein Schatten über Jil hinweg, sie spürte den Luftzug an ihrer Kopfhaut. Langsam hob sie den Blick. Noch immer hustete sie und ihre tränennassen Augen verschleierten ihr die Sicht. Sie nahm die Geschehnisse um sie herum mehr mit den Ohren als mit den Augen wahr. Es war dunkel, und selbst wenn es helllichter Tag gewesen wäre, wären ihre menschlichen Augen vermutlich nicht zu erfassen imstande gewesen, was sich nur wenige Yards neben ihr abspielte. Zwei Männer kämpften miteinander, Jil hörte ihr Keuchen und Stöhnen. Sie wusste nicht, wer ihr das Leben gerettet hatte, und sie wollte es auch eigentlich gar nicht wissen. Sie wollte nur noch von hier verschwinden. Am besten, sie reihte sich in den Strom der in Panik die Stadt verlassenden Menschen ein und begann irgendwo ein neues Leben.
Langsam rappelte sie sich auf und entfernte sich vom Kampfgeschehen. Ihr verletzter rechter Oberarm verlangte nun, da sich das Sauerstoffproblem gelöst hatte, mit aller Macht nach Aufmerksamkeit, indem er im Rhythmus ihres Herzschlags heftig pulsierte. Sie griff mit der linken Hand nach der Wunde, sofort waren ihre Finger nass und klebrig. Das Hemd, das sie trug, war am Ärmel zerrissen und von der
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