Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren
Erinnerung in ihr Bewusstsein: Irgendwann des Nachts hatte sie eben diese Knöpfe schon einmal geschlossen, und zwar inmitten eines seltsam nüchternen Traums, in dem sie über die hell erleuchteten Flure zu den Gemächern des Prinzen gelaufen war und dabei irgendetwas in der Hand gehalten hatte. Unwillkürlich musste sie an das kleine Kästchen aus Holz und Elfenbein denken, das sie vor langer Zeit von Balthasar zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte, mit einem Stück Sandelholzseife darin. Sie hatte Bal nie erzählt, wie heftig ihr magischer Schutz auf das Parfum reagierte oder wie wenig das mit feinen Schnitzereien verzierte Holz und Elfenbein farblich zueinander passte –, es war geradezu eine Beleidigung ihrer bei Hofe verwöhnten Augen gewesen. Allein aus Gründen der Freundschaft hielt sie das Kästchen dennoch in Ehren. Warum sie allerdings davon geträumt haben sollte, es ihrem Prinzen zu bringen, wusste sie nicht. Es sei denn, das hatte etwas mit Isidores Bemerkung zu tun, ihrer aller Zukunft läge in den Händen von Leuten wie den Nachtgeborenen.
Vorwurfsvoll schüttelte sie über sich selbst den Kopf. Bei allen Missständen, die sie nach einer langen Schicht und überwürzten Banketten beschäftigten, warum sollte sie sich ausgerechnet über diesen Traum so große Sorgen machen? Sie wusste es nicht. Und wieso erachtete sie ihn eigentlich als Albtraum?
Floria kämmte sich das Haar, drehte es am Hinterkopf zu einer Schnecke und gab dieser mit einem weißen Netz den nötigen Halt. Ihre Netzschuhe mit den dicken, leisen Sohlen waren vorn geschlossen. An der rechten Hand trug sie einen Handschuh, die Innenfläche aus weichem Wildleder und der Handrücken wiederum aus einem Netzgewebe. Das Schwert machte sie an der linken Hüfte fest, die Pistole an der rechten. Ihr Urgroßvater hatte seinerzeit mit dem Gedanken gespielt, einen zweiten magischen Schutz anzuschaffen, der Kugeln und andere Geschosse ablenkte. Es war ihm jedoch nie gelungen, die Familie davon zu überzeugen, ihn beim Erwerb dieses Schutzes zu unterstützen, da sich das Familienvermögen noch nicht einmal vom ersten Kauf erholt hatte. Der Prinz trug solch einen Schutz, mit dem einst für seinen Vater ein Talisman belegt worden war. Der Preis dafür war eine Provinz gewesen – eine der letzten Ländereien des Prinzentums außerhalb der Stadt.
Ihr Vater hatte ihr immer wieder gesagt, Politik ginge einen Leibgardisten nichts an. Nachdem die Verarmung des Prinzentums jedoch auf direktem Wege in die Koalition mit den Südländern geführt hatte, waren ihm die Argumente ausgegangen.
Als sie ihre Tür öffnete, hörte sie die Schreie – entfernt zwar, aber aus Richtung der prinzlichen Gemächer. Mit einer Hand fest am Schwert jagte Floria über die Galerien, vorbei an Grüppchen von Dienern, die darauf warteten, die Fensterläden zu öffnen, sobald sie sich des Sonnenaufgangs sicher sein konnten. Bis sie um die letzte Ecke bog, hatten sich die Schreie in ein Wimmern verwandelt, was noch entsetzlicher war als das Kreischen.
Prinzgemahlin Helenja und einer ihrer Wachmänner standen vor der Tür des Prinzen. Zu ihren Füßen lag ihre Tochter Liliyen. Sie war in sich zusammengesunken und zur Seite gefallen, ihr Kopf lag kraftlos auf dem ausgestreckten Arm, ihre nackte Hand berührte die Schwelle. An den flachen Bewegungen ihres Brustkorbs erkannte Floria, dass sie atmete, doch das bedeutete lediglich, dass sie nicht – noch nicht – tot war. Der Leibwächter starrte wie versteinert in das Zimmer, sein Gesicht eine Fratze des Grauens, Liliyen nahm er überhaupt nicht wahr – das Wimmern kam aus ihrer Kehle. Helenja drehte den Kopf zu Floria. Ihr totenbleiches Gesicht glänzte feucht, ihre Augen so weit aufgerissen, dass sie fast aus den Höhlen traten, ihr breiter Kiefer heruntergeklappt. Lautlos machte sie den Mund immer wieder zu und auf wie ein Fisch, den man in ein Boot gezogen hatte und an der Luft ersticken ließ.
Langsam wandte Floria sich der Tür zu. Sie stand sperrangelweit offen. Das Licht vom Korridor ergoss sich über den Boden und erreichte gerade noch die ersten Möbelstücke eines Raumes, in dem ansonsten totale Finsternis herrschte.
3
Telmaine
Allein in ihren Gemächern, stocherte Telmaine müde in ihrem Abendessen herum – gegrillter Fisch in einer gut gewürzten Buttersoße. Sie hatte ohnehin kaum Appetit, nachdem sie bereits mit ihren Töchtern im Kinderzimmer zu Abend gegessen hatte, um die beiden damit zu versöhnen, dass
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