Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren
bei gesellschaftlichen Anlässen begegnet war, nahmen sie mit ihrer Macht und Autorität Telmaine hier nahezu die Luft zum Atmen. Von den vier Großherzögen, die im Rang eine Stufe unter dem Erzherzog standen, waren drei anwesend.
Xerxes, Herzog von Kalamay, hatte sich nach der leichten Berührung ihres Sonars nicht einmal zu ihr umgewandt, obwohl dessen Intensität und Klang eindeutig weiblichen Ursprungs waren. Genau wie bei dem Erzherzog hatten sich auch bei ihm seine Erfahrungen und Persönlichkeit tief ins Gesicht gegraben. Womöglich hätte es ein gütiges Gesicht werden können, wenn er seinem jugendlichen Streben nach Erfüllung im Dienste des Einzigen Gottes gefolgt wäre und um die Hand der fröhlichen Tochter eines Klerikerkollegen angehalten hätte. Doch eines Nachts, in einer dieser kurzen Sommernächte, hatte sich sein älterer Bruder im Vollrausch unbemerkt von seinen Freunden entfernt und war erst nach Sonnenaufgang vermisst worden. Innerhalb von zwei Jahren hatte man Xerxes zum Stellvertreter seines Vaters gemacht und ihn mit einer schwermütigen Erbin verheiratet. Im Laufe der Zeit hatten die Enttäuschungen seines Lebens deutliche Spuren hinterlassen.
Neben ihm saß Sachevar, Herzog von Mycene. Klein und drahtig wie sein Sohn, mit einem wohlgeformten, kahlen Schädel, dessen Haltung und flinke Drehbewegungen an einen jagenden Falken erinnerten. Die Zeit hatte ihm kaum etwas anhaben können. Selbst in seinen Sechzigern war er noch ausgesprochen kampfeslustig, von Ehrgeiz getrieben und ein wahrer Meister der Jagd und im Umgang mit Waffen aller Art. Er fand Freude daran, Männer zu überlisten und zu überleben, die nur ein Drittel so alt waren wie er, und schmiedete noch immer Zukunftspläne, als ginge er davon aus, deren Früchte noch eigenhändig ernten zu können, selbst jene Früchte, die zum Reifen noch gut dreißig Jahre benötigten.
Links von ihr saß der Herzog von Imbré, der Mann, der Vladimer von allen am nächsten stand. Er war bereits über achtzig Jahre alt und verwittert wie ausgestrichener Sandstein – kein anderes Raubtier als die Zeit würde ihm je etwas anhaben können. Das Alter hatte ihm Weisheit und Respekt eingebracht, sogar den seiner Feinde.
Die fünf Barone der Grenzlande standen in ihrem gesellschaftlichen Ansehen in etwa auf derselben Stufe wie der nächstniedrigere Rang von Herzögen. Doch ihre riesigen, spärlich besiedelten Ländereien umgaben die Schattenlande und erstreckten sich beinahe bis zur Südküste. Zwei dieser fünf Barone waren anwesend, und eine dritte Baronie, Stranhorne, wurde durch deren Thronerben vertreten. Außerdem Ishmaels Stadtvertreter – gewiss einer seiner Cousins, zumindest nach dessen kräftiger Statur und vierschrötigem Profil zu urteilen.
Die erhobene Hand des Erzherzogs sorgte für Ruhe. »Könnten wir uns vielleicht darauf einigen, die aufkommenden Fragen zumindest anzuhören?«
Sachevar Mycene sprang halb von seinem Sessel auf. »Di Studier hat die Verlobte meines Sohnes ermordet, und er und seine Komplizen benutzen dieses Verwirrspiel von Lügen und Anspielungen doch nur, um uns von seiner Schuld abzulenken.«
»Nach allem, was wir wissen«, warf der unfreiwillige Erbe von Kalamay ein, »hat er die Dame verführt.«
»So etwas wie eine Verführung hat es nie gegeben, und es existieren auch keine Kinder«, fauchte Mycene. »Der Arzt, der das behauptet … «
»Prinzessin Telmaines Ehemann«, raunte Vladimer, »stand in Ishmael di Studiers Sold.«
»Mein Ehemann steht in niemandes Sold!«
Mahnend tippte Vladimer an ihren Arm. »Ich habe zwei Expertisen von unabhängigen Gutachtern vorliegen, nach denen Prinzessin Tercelle Amberley nur wenige Tage vor ihrem Tod niedergekommen war.«
Schlagartig herrschte Stille. Imbré zuckte zusammen und schüttelte den Kopf. »Das ist eine bodenlose Unverschämtheit!«, erboste sich Xerxes Kalamay. »Die Sittsamkeit einer Prinzessin im Tode dermaßen zu verunglimpfen. Sejanus, diesmal ist Ihr Bruder zu weit gegangen!«
Telmaine vermutete, dass der Erzherzog dem wohl zugestimmt hätte; sogar sie selbst, die nun wirklich keinerlei Zuneigung für Tercelle Amberley empfand, war erschüttert. Doch ungerührt wie ein sommerlicher Gartenteich bei Windstille fuhr Vladimer fort. »Obgleich ich keinesfalls den Wunsch hege, das Andenken der Prinzessin zu schänden« – eine Lüge, angesichts Vladimers Gleichgültigkeit gegenüber seiner eigenen Rufschädigung – »oder die Gefühle Eurer Hoheiten
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