Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren
wählte Liliyen, um aufzublicken, ihn anzusehen und in leises Schluchzen auszubrechen, wodurch sie die Aufmerksamkeit des gesamten Tisches auf sich lenkte. Vielen Dank, kleine Schwester.
Nachdem die gewürzten Speisen abgeräumt waren, wurde das süße Gebäck serviert, welches die Bediensteten zunächst an Tam vorbeitrugen, bevor sie es auf den Tisch stellten. Der Sitte nach waren Gespräche nun gestattet, doch niemand durfte vor dem regierenden Prinzen das Wort erheben.
Erstaunlich, wie trocken ein Kuchen zwischen zwei Bissen werden konnte. Doch ehe er einen Schluck trank, kaute er lieber sorgfältig. »Mir scheint, ihr kennt Magister Tammorn noch nicht«, sagte er, nachdem er sich für eine ungezwungene Umgangsform entschieden hatte. »Der endgültige Vertrag wird heute Nachmittag zur Einsicht bereitliegen.« Ihre Prächtigkeiten erhielten umgehend Nachricht über jeden vom Magiertempel veröffentlichten Vertrag, was bewies, wie sein Vater angemerkt hatte, inwiefern die Magie ein wahrer Segen für die Bürokratie sein konnte.
»Wo ist Mistress Weiße Hand?«, fragte einer seiner entfernteren nordländischen Cousins, der – wie Fejelis aufgefallen war – sich nur von den Speisen auffüllen ließ, die er und Tam gewählt hatten.
»Mistress Weiße Hand hält sich gegenwärtig nicht im Palast auf. Magister Tammorn hat freundlicherweise zugestimmt, ihre Vertretung zu übernehmen.«
»Welchen Rang hat er inne?« fragte nun die Gemahlin seines Cousins. Sie war als geizig bekannt und hatte vermutlich nur die Kosten im Sinn.
»Magister Tammorn gilt als Magier fünften Ranges.«
»Mir wurde berichtet«, sagte Prasav, »dass er aufgrund disziplinarischer Schwierigkeiten heruntergestuft wurde.«
Tams rötliche Gesichtsfarbe war sicherlich nicht allein auf die Schärfe der Speisen zurückzuführen. Ihm sollte der Brauch jedoch bekannt sein, dass unter Vertrag stehende Magier, Wachleute und Diener so behandelt wurden, als wären sie nicht anwesend. Für Kinder bis zum Alter von vier Jahren galt dasselbe. Orlanjis Reaktion darauf waren die stets gleichen kreischenden Wutanfälle. Fejelis hatte die Grenzen seiner Unsichtbarkeit meist mit infantilen Streichen ausgetestet, genau wie Perrin.
»Ich bin davon überzeugt«, entgegnete Fejelis, »dass Magister Tammorn für seine vertraglichen Aufgaben bestens qualifiziert ist.«
»Die da wären?«, sagte Ember mit kühlem Blick zu Tam. »In den letzten Veröffentlichungen gab es keinerlei Berichte über einen neuen Vertrag.«
»Ich gehe davon aus, dass der Entwurf bereits auf meinem Schreibtisch liegt. Magister Tammorn soll herausfinden, wer oder was den Prinzen getötet hat, und die Vertretung von Mistress Weiße Hand übernehmen.«
»Und was ist aus Mistress Floria geworden?«, setzte sich Helenjas Stimme über die seine hinweg.
»Ich habe ihre Verhaftung angeordnet.«
Er ließ sie warten, bis er einen Bissen von einem kleinen Mandelplätzchen genommen und es wieder auf seinen Teller gelegt hatte. Erst dann fuhr er fort. »Es bestanden Zweifel an ihrem Verhalten in der Nacht, als der Prinz starb.«
»Ich habe gehört, sie sei zu den Nachtgeborenen geflüchtet«, sagte Ember.
»Allem Anschein nach hat es einige Entgleisungen im Verhalten des Arrestkommandos gegeben – Schüsse wurden abgefeuert – , und sie hat offenbar entschieden, in den Händen der Nachtgeborenen sicherer zu sein als in den Händen ihrer Kameraden.« Für einen kurzen Moment sah er seiner Mutter fest in die Augen. Natürlich hatte er keinerlei Beweise dafür und bezweifelte auch, jemals welche zu finden, dass der Wachhauptmann bezahlt worden war oder einen anderweitigen Anreiz erhalten hatte, um Floria zu erschießen statt sie zu verhaften.
Fejelis fand Helenjas Verachtung für Floria ebenso absurd wie scheinheilig. Denn im Grunde legte das Brauchtum der Südländer sehr viel Wert auf gemeinsame Mahlzeiten unter engen Vertrauten. Doch während ihrer gesamten Ehe hatte Helenjas Gatte seine Speisen zuerst mit einer anderen Frau geteilt statt mit seiner Gemahlin – noch dazu als Vorsichtsmaßnahme in Hinsicht auf einen Mordanschlag durch diese und ihre Verwandtschaft.
Oh Heilige Muttermilch, dachte Fejelis mehr oder minder verzweifelt. Nach diesem Morgen werden einige aus den südländischen Reihen ihn und Tam als Liebespaar brandmarken, wenn auch nicht aus Überzeugung, so doch aus purer Freude an der Verleumdung.
»Und wirst du ihre Auslieferung verlangen?«, fragte Helenja.
Fejelis nickte
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