Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren
bereits zu seines Urgroßvaters Zeiten. Bei der Haube handelte es sich, kurz gesagt, um eine Fälschung.
Sie saß recht stramm, strammer, als er erwartet hatte, ein leichter Druck an den Schläfen, dafür etwas Luft an der Stirn – sein Schädel war offensichtlich breiter als der seines Vaters. Das Gesicht, das ihn im Spiegel anstarrte, umrahmt von vergoldeten Drähten und blauem Glas, besaß selbst in seinen Augen eine irritierende Ähnlichkeit mit dem Isidores.
Tam keuchte auf, er sah es ebenfalls.
»Hast du irgendwelche Neuigkeiten?«
»Während der Nacht gab es keinen erneuten Angriff auf die Lampen.«
»Und Mistress Weiße Hand?«
»Befindet sich im Palast des Erzherzogs.« Ein flüchtiges Zögern. »In Sicherheit.«
»Sie werden sagen, ihre Flucht sei der Beweis für ihre Schuld«, bemerkte Fejelis. »Aber was mir über Hauptmann Beaudrys Verhalten zu Ohren gekommen ist, gefällt mir ganz und gar nicht.« Er setzte die Haube wieder ab und legte sie beiseite, band sich die Haare im Nacken zu einem festen Knoten.
»Wirst du ihre Auslieferung verlangen?«
»Mir bleibt keine andere Wahl«, sagte Fejelis. »Der Tod meines Vaters ist eine allzu aufrüttelnde Angelegenheit. Aber ich denke, ich werde noch ein paar Stunden abwarten und sehen, was sich ergibt.«
Über ein rotes Hemd zog er eine rote Jacke mit verstärkten Brustplatten, an den Seiten und Ärmeln durchsichtig und mit Spiralen aus blauen Stickereien und Halbedelsteinen verziert. Es war die letzte einer ganzen Reihe prinzlicher Trauerjacken, die von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Er setzte die Haube wieder auf, prüfte deren Sitz mit einem kurzen Blick in den Spiegel und wandte sich schnell davon ab.
»Was meinst du, warum die Nachtgeborenen keine Absetzungen vornehmen und dennoch nicht unter altersschwachen und unfähigen Herrschern zu leiden haben?«
Ohne zu antworteten, reichte ihm der Magier die Schärpe. Er wickelte sie sich um die Taille, knotete sie fest und zupfte den Stoff zurecht. Dann streckte er sich, drehte seinen Oberkörper hin und her, um sicherzugehen, dass er sich frei bewegen konnte, und wandte sich Tam zu. »Kann ich so gehen?«
Er beobachtete den Magier, der überlegte und dann doch auf mahnende Worte verzichtete. »Ja.«
»Dann schlage ich vor, wir wagen uns hinaus. Wenn wir erst lange darauf warten, bis sie den Mut finden anzuklopfen, werden wir wohl kein Frühstück mehr bekommen.«
»Ich bin froh, dass du deinem Personal ein Frühstück zubilligst.«
Fejelis schenkte ihm ein schiefes Lächeln. »Du hast noch nie mit meiner Familie gefrühstückt.«
Das private Esszimmer seines Vaters befand sich in einem lichtdurchfluteten Dachgarten im Südosten des Palastes, wo sich zwei lange Wandelgänge gegenüberlagen. Kernstück des Gartens war ein flacher Teich. Der Boden des Gartens bildete zugleich ein Deckenlicht des prinzlichen Arbeitszimmers im Stockwerk darunter. Selbst an einem trüben Wintertag spendete das Licht noch Kraft.
An diesem Morgen erhob sich eine silbern umrandete Wolkenwand am östlichen Horizont und ersparte ihnen somit zu viel Pracht und Herrlichkeit. Die Gesichter aller am Tisch Versammelten – seine Familie oder besser: Familien – wandten sich gleichzeitig zu ihm um, als müsse er für sein Zuspätkommen ihre Rache fürchten. Doch ungeachtet der Strafen, die seine Position mit sich bringen mochte – Prinz zu sein bedeutete für ihn, dass er in Zukunft nie wieder zu spät kommen durfte. Lass es dir ja nicht zu Kopf steigen , schalt ihn seines Vaters Stimme.
Gemeinsam erhoben sie sich, um ihn gebührend zu begrüßen, rotgekleidete Nordländer auf der einen Seite des Tisches und sandfarben gekleidete, mit roten Bändern ausstaffierte Südländer auf der anderen. Mutter, Bruder, Schwester; Tante, Onkel und Cousins. Vaters Cousins. Die fünfzehn Leute, die am ehesten dafür in Frage kamen, seinen Vater getötet zu haben, und dafür, ihn zu töten.
Keine Aufgabe für Hasenherzen , wie sein Vater einmal gesagt hatte.
Aus Liliyens Richtung hörte er etwas, das wie ein unterdrücktes Schluchzen klang. Während Orlanjis einen attraktiven Charme kultiviert hatte und im Ruf einer Frohnatur stand, und Fejelis eine besondere Umsicht entwickelt hatte und als langsam und zögerlich galt, besaß Liliyen ein hohes Maß an Einfühlsamkeit und wurde von vielen als flatterhaft und zerbrechlich betrachtet. Demnach war sie wahrscheinlich die Klügste und Stärkste von ihnen, denn Orlanjis war der
Weitere Kostenlose Bücher