Lichthaus Kaltgestellt
Bericht bitte rein und melde dich kurz bei Marx, der ist für den Fall zuständig.«
Lichthaus trennte die Verbindung und fuhr los. Die Anhaltspunkte im zweiten Mordfall waren gleich null. Wenn man Güttlers Vermutung folgte, könnte es sein, dass ein Osteuropäer Bandenstreitigkeiten zum Opfer gefallen war, denn die Tatsache, dass der Mörder dem Mann beim Sterben zugesehen hatte, deutete auf eine gezielte Hinrichtung hin. Aber das war reine Spekulation. Sie würden die Vermisstenstatistiken im Auge behalten müssen und eventuell das BKA und Europol einschalten.
Kurz vor einer Ampel geschah es dann. Die Sonne brach zwischen den lockeren Wolken hervor und wurde von der aufspritzenden Gischt der Fahrzeuge tausendfach gebrochen. Geblendet und gedankenverloren rollte Lichthaus mit müden Augen auf die stehende Autoschlange zu. Zwar sah er noch die roten Rückleuchten am Wagen seines Vordermanns, doch als er reagierte und das Bremspedal voll durchtrat, wusste er schon, dass es nicht mehr reichen würde: Er rutschte auf das Heck eines Passats zu und registrierte noch den Sylt-Aufkleber auf dem Kofferraum, als er in letzter Sekunde das Lenkrad nach rechts riss.
Über einen flachen Graben holperte sein Wagen auf eine angrenzende Wiese. Einen Moment glaubte er noch an sein Glück, doch dann knallte es und der Golf schob sich auf einen großen Stein. Die Tatortmappe flog in den Fußraum und zerfiel in einzelne Blätter, dann war es still. Einen Augenblick blieb er benommen hinter dem Lenkrad sitzen.
Der Aufprall war nur leicht gewesen, da das Fahrzeug schon sehr verlangsamt hatte, doch der Schaden war dennoch beträchtlich. Die Fahrertür ließ sich nur mit Mühe öffnen, also schien der Rahmen verzogen zu sein. Als er ausstieg, sah er zudem, dass das linke Rad in den Radkasten gedrückt worden war und im rechten Winkel abstand. Von der Straße aus beobachteten ihn die Menschen aus den stehenden Autos, doch wie so oft in solchen Fällen bot niemand Hilfe an. Blöde Gaffer! Der Golf hatte eine lange Furche in die vom Regen aufgeweichte Wiese gezogen. Lichthaus’ Schuhe waren dreckverschmiert. Unschlüssig brütete er vor sich hin, als plötzlich eine unbeherrschbare Wut durch seine Lethargie brach. Er trat mit voller Wucht mehrmals gegen den Kotflügel und schrie laut vor sich hin. Er fluchte auf den Job, den Täter, die Toten, den wenigen Schlaf und alles, was ihm sonst noch einfiel. Erst als sein Fuß heftig schmerzte, bekam er sich langsam wieder in den Griff. Schwer atmend öffnete er die Beifahrertür und sammelte die Tatortmappe zusammen. Dann rief er im Präsidium an. Er erreichte Marie Guillaume, die versprach, ihm einen Wagen zu schicken. Anschließend informierte er Claudia, die schockiert sofort kommen wollte und ebenfalls auf seinen Job fluchte. Er beschwichtigte sie, dass es ihm gut gehe und sie mit Henriette zu Hause bleiben könne. Er sah ein, dass er sich heute etwas Schlaf gönnen musste, damit nicht noch mehr passierte. Claudia versprach, ihn gleich nach der Besprechung im Präsidium abzuholen.
Der Streifenwagen traf zehn Minuten später ein. Der Abschleppwagen war zwar noch nicht da, doch Lichthaus kannte den Unternehmer. Der würde den Wagen auch ohne ihn abholen und mitnehmen.
Die Streifenbeamten grinsten belustigt, als sie ihn durch den Schlamm stapfen sahen, doch sein Gesichtsausdruck ließ sie den Mund halten.
*
Als Lichthaus mit schmutziger Hose und lehmverschmierten Schuhen das große Besprechungszimmer erreichte, war es schon zwanzig nach vier. Sein Team und die neuen Kollegen saßen bereits auf ihren Plätzen und warteten. Als sie sich nach dem Unfall erkundigten, wimmelte er sie ungeduldig ab. Die Anspannung, die ihn in den letzten Tagen angetrieben hatte, war verflogen. Der Unfall und sein Wutausbruch hatten wie ein Katalysator gewirkt. Er sah den Fall nun in deutlichen Konturen und musste sich nüchtern eingestehen: Eigentlich hatten sie nichts. Keine griffigen Fakten, und selbst wenn von Falkberg ein passables Profil würde erstellen können, fehlte ihnen ein Rahmen, in dem sie es anwenden könnten. Doch er ließ sich nichts anmerken und begrüßte die Anwesenden. Er brachte alle auf den jüngsten Stand der Ermittlungen. Die Neuen hörten besonders aufmerksam zu. Es waren sechs Männer und Frauen, zumeist noch sehr jung und, wie er fürchtete, unerfahrene Fahnder. Bis auf Ulrich Schweiger, einen Kommissar aus der Sitte, kannte er niemanden.
Schweiger war ein bulliger großer Mann mit
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