Lichthaus Kaltgestellt
Wohnwagen, um wieder von vorn zu beginnen.
Er starrte nach draußen. Voller Zweifel und düsterer Gedanken. Der Knopf war die einzige heiße, eigentlich nur lauwarme Spur. Hätten sie heute keinen Erfolg, würde nur die Ochsentour bleiben, die allzu oft ins Leere führte.
»Hier Scherer. Alles ruhig. Ich habe eben deine Ragnhild gesehen.« Lichthaus konnte praktisch hören, wie er grinste.
»Du meinst Frau Andries.«
»Die sieht selbst in dem blöden Fummel top aus«, er machte eine kleine Pause. »Ob die einen Ritter hat?«
»Ich dachte du bist versorgt?«
»Ich? Nein. Seit vier Wochen nicht mehr. Gibt’s da also einen Kerl?«
»Ja. Auf Kreuzzug im Kosovo.«
»Hmh, ob die einen Keuschheitsgürtel trägt?«
Lichthaus lachte zum ersten Mal an diesem Abend. Scherer wieder einmal auf der Pirsch. »Du kannst sie ja mal fragen. Kauf dir doch eine Rüstung.«
»Ich denke eher an die Minne.«
»Oh je, ein Poet«, warf Sophie Erdmann ein, die mithörte.
»Konzentration, Leute, und jetzt raus aus der Leitung«, mahnte Lichthaus an und verfiel wieder in seine trüben Gedanken, als Scherer sich kurz darauf erneut meldete.
»Ich sehe ihn. Etwa zehn Meter vor mir.«
Lichthaus sprang auf. »Wo bist du jetzt.«
»Er geht zwischen den Buden hindurch Richtung Steg.«
»Wo ist Marx?«
»Ah. Zur Toilette.«
»Halt Abstand«, er schaltete um. »Alle zum Steg. Der Gesuchte befindet sich auf dem Weg dorthin.«
»Er haut ab.« Scherers Stimme klang nervös. »Ich versuche, ihn aufzuhalten.«
»Nicht allein. Bleib dran und warte bis Marx oder die anderen zu dir stoßen.« Lichthaus wurde unruhig. Wenn der Mann nicht zum Kampfplatz ging, dann nur, weil er Wind von der Überwachung bekommen hatte. Er war also alarmiert. Aus dem freigeschalteten Kopfhörer waren nur leiser werdendes Stimmengewirr und Schritte zu hören.
»Thomas, wo bist du?«
»Er geht in Richtung Fluss. Ich spreche ihn jetzt an.«
Angst stieg in Lichthaus auf. Scherer handelte gegen alle Regeln. »Lass das und warte auf die anderen. Das ist ein Befehl.«
»Polizei. Hallo, Sie da, bleiben Sie mal stehen!« Scherers Stimme war laut zu vernehmen, dann sprach er leise ins Mikrofon. »Er reagiert.« Es entstand eine kleine Pause. »Könnten Sie sich bitte ausweisen.«
Lichthaus presste den Hörer an die Ohren. Ihm brach der Schweiß aus. Scherers Alleingang war unverantwortlich, doch er konnte nicht eingreifen. Außer dem schwachen Summen des Fests herrschte Stille.
»Bleiben Sie stehen oder ich …«
Ein Geräusch wie reißender Stoff schnitt scharf durch den Kopfhörer, und dann ein Stöhnen, das er nie vergessen würde. Es war nicht allein der qualvolle Ausdruck von Schmerz und Überraschung, sondern tief unten tönte darin der Tod. Lichthaus war wie erstarrt. Scherer zog schwer die Luft ein, wieder das reißende Geräusch, und dann entrang sich seiner Kehle, direkt ins Mikrofon, ein gurgelndes Krächzen wie von einem waidwunden Tier.
»Thomas, was ist los?« Er brüllte so laut, dass der Techniker zusammenzuckte und herumwirbelte. Atemlos lauschte er weiter, hörte aber nur ein leises Keuchen, das nicht von Scherer stammen konnte, da es zu weit vom Mikrofon entfernt kam. Doch da war noch etwas. Ein Rascheln, so als ob ein schwerer Gegenstand über die Wiese gezogen würde.
»Thomas! Thomas?« Nichts.
Er schaltete alle hinzu.
»Er hat Scherer erwischt. Beeilung. Runter zum Fluss.« Alle schrien gleichzeitig los, aber er ignorierte die wirren Fragen der Kollegen und riss sich den Kopfhörer von den Ohren. »Krankenwagen zum Steg!«, schrie er dem verdatterten Techniker zu und trat krachend die Wohnwagentür auf. Er landete im weichen Schlamm und stürmte los, geradewegs auf die Trauben feiernder Menschen zu, geradewegs zu seinem sterbenden Kollegen. Er nahm instinktiv den Weg links vorbei an der Musikbühne, vor der getanzt wurde, und versuchte, zwischen den Bierständen durchzuschlüpfen. Heike Andries hatte für alle einen Poncho mit mittelalterlichen Motiven organisiert, den sie über den Waffengurt ziehen konnten, aber jetzt war ihm jede Tarnung egal. In der Rechten die Pistole, in der Linken eine Maglite versuchte er, sich einen Weg zu bahnen. Die Menschen, viele angetrunken, standen eng beieinander, unbeweglich wie eine homogene Masse. Ein Pudding aus Leibern. Die zuvorderst standen, sahen ihn kommen und wollten ausweichen, doch steckten sie unfähig zu größeren Bewegungen fest. Er brach zwischen ihnen hindurch. Rücksichtslos. Gebrauchte
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