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Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Titel: Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Cooper
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der brennenden Kerzen auf dem Tisch spielte auf seinem gesträubten weißen Haar und vertiefte die Schatten, in denen seine seltsamen Augen wie in dunklen Seen lagen.
    »Mein Name ist Merriman Lyon«, sagte er. »Ich begrüße dich, Will Stanton. Wir warten seit langem auf dich.«
    »Ich kenne Sie«, sagte Will. »Mir scheint ... Sie sehen aus ... ich habe gespürt... kenne ich Sie nicht?«
    »In gewisser Weise«, sagte Merriman. »Du und ich, wir sind sozusagen einander ähnlich. Wir wurden mit der gleichen Gabe geboren und zu dem gleichen hohen Auftrag. Und in diesem Augenblick bist du hier an diesem Ort, Will, damit du beginnst zu verstehen. Aber zuerst musst du von der Gabe erfahren.«
    Es ging alles zu weit, zu schnell. »Ich verstehe nicht«, sagte Will und blickte erschrocken in das starke, lebendige Gesicht. »Ich habe keine Gabe, wirklich nicht. Ich will sagen, es ist nichts Besonderes an mir.« Er blickte von einer zur anderen der beiden Gestalten, die von den tanzenden Flammen der Kerzen und des Feuers einmal beleuchtet, dann wieder in Schatten versenkt wurden, und Angst stieg in ihm auf, das Gefühl in eine Falle gegangen zu sein. Er sagte: »Nur das, was mir widerfahren ist, das ist alles.«
    »Denk zurück und erinnere dich an einige dieser Dinge«, sagte die alte Dame. »Heute ist dein Geburtstag, der Tag der Wintersonnenwende, dein elfter Wintersonnwendtag. Erinnere dich an den gestrigen Tag, deinen zehnten Wintersonnwendabend, bevor du das Zeichen zum ersten Mal sahst. War da nichts Besonderes? Nichts Neues?«
    Will dachte nach. »Die Tiere hatten Angst vor mir«, sagte er zögernd. »Und vielleicht die Vögel. Aber damals schien es nichts Besonderes zu bedeuten.«
    »Und wenn ihr im Haus ein Radio oder ein Fernsehgerät laufen hattet«, sagte Merriman, »dann benahm es sich seltsam, sobald du in die Nähe kamst.«
    Will starrte ihn an. »Im Radio waren dauernd Geräusche. Wie haben Sie das gewusst? Ich dachte, es wären Sonnenflecken oder so was.«
    Merriman lächelte. »Irgend so etwas.« Dann wurde er wieder ernst. »Hör mir jetzt zu. Die Gabe, von der ich spreche, ist eine Kraft, die ich dir zeigen werde. Es ist die Kraft der Uralten, die so alt sind wie dieses Land oder noch älter. Du wurdest geboren, Will, um diese Kraft zu erben, wenn du dein zehntes Jahr vollendet hättest. Am Vorabend deines Geburtstages begann sie schon zu erwachen und heute, am Tag deiner Geburt, ist sie frei geworden, blühend und voll erwacht. Aber diese Kraft ist noch wild und nicht in Bahnen gelenkt, denn du hast sie noch nicht fest in der Hand. Du musst lernen sie zu gebrauchen, bevor sie ihre wahre Gestalt annehmen und den Auftrag erfüllen kann, zu dem du geboren bist. Mach nicht so ein Gesicht, Junge. Steh auf. Ich will dir zeigen, was die Kraft vermag.«
    Will stand auf und die alte Dame lächelte ihm ermutigend zu. Er sagte plötzlich zu ihr: »Wer sind Sie?«
    »Die Dame ...«, begann Merriman.
    »Die Dame ist sehr alt«, sagte sie mit ihrer jungen, klaren Stimme, »und hat zu ihrer Zeit viele, viele Namen gehabt. Für den Augenblick wird es vielleicht das Beste sein, wenn du weiter an mich als an die Alte Dame denkst.«
    »Ja, gnädige Frau«, sagte Will. Beim Klang ihrer Stimme hatte das Glücksgefühl ihn wieder überströmt, die Angst legte sich, er stand da, eifrig und aufrecht, und spähte in die Schatten hinter ihrem Stuhl, wo Merriman sich einige Schritte zurückgezogen hatte. Er konnte den Schimmer des weißen Haares über der hohen Gestalt sehen, aber nicht mehr.
    Merrimans tiefe Stimme kam aus den Schatten heraus. »Steh still. Hefte deinen Blick auf irgendeinen Gegenstand, aber nicht scharf, konzentriere dich auf nichts. Lass deine Gedanken wandern. Tu so, als wärest du in der Schule in einer langweiligen Unterrichtsstunde.«
    Will lachte, er stand ganz entspannt da, den Kopf ein wenig zurückgelegt. Er blinzelte nach oben und versuchte wie zum Scherz, zwischen den dunklen Balken und den schwarzen Linien, die von ihren Schatten gebildet wurden, zu unterscheiden.
    Merriman sagte beiläufig: »Ich stelle ein Bild vor deine Seele. Sag mir, was du siehst.«
    Das Bild formte sich in Wills Kopf so natürlich, als hätte er sich entschlossen, eine Phantasielandschaft zu malen, und stelle sich das Bild jetzt vor, ehe er es aufs Papier brachte. Er sagte, indem er die Einzelheiten so beschrieb, wie sie vor seinem inneren Auge auftauchten: »Da ist ein grasbewachsener Abhang, der vom Meer aufsteigt, eine Art

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