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Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Titel: Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Cooper
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sanfter Klippe. Viel blauer Himmel und das Meer unten ist von einem dunkleren Blau. Ein langer Pfad führt nach unten und da, wo Land und Meer sich treffen, ist ein Sandstreifen, wunderbarer, goldglänzender Sand. Und weiter landeinwärts, hinter der grasbewachsenen Klippe — man kann sie von hier nur aus dem Augenwinkel sehen — Berge, Berge im Dunst. Sie sind von einem sanften Purpur und ihre Umrisse lösen sich in einen blauen Nebel auf, so wie die Farben auf einem Bild ineinander verlaufen, wenn man sie nass hält. Und« — er erwachte aus dem halben Traumzustand und blickte Merriman scharf an, spähte mit fragendem Blick in die Schatten — »und es ist ein trauriges Bild. Man sehnt sich nach diesem Ort, man hat Heimweh danach. Wo liegt er?«
    »Genug«, sagte Merriman hastig, aber er schien erfreut. »Du machst deine Sache gut. Jetzt bist du an der Reihe. Schick mir ein Bild, Will. Wähle irgendeine gewöhnliche Szene. Denk daran, wie alles aussieht, so als ständest du da und sähest es wirklich.«
    Will dachte an das erste Bild, das ihm in den Kopf kam. Er merkte jetzt, dass es die ganze Zeit im Hintergrund seiner Gedanken da gewesen war und ihn beunruhigt hatte: das Bild der beiden großen Türflügel, die ganz für sich auf dem beschneiten Abhang standen, mit ihren kunstvollen Schnitzereien und der seltsam zitternden Luft um die Ränder herum.
    Merriman sagte sofort: »Nicht das Tor. Nichts, was so nahe ist. Etwas aus deinem Leben vor diesem Winter.«
    Will starrte ihn einen Augenblick verwirrt an; dann schluckte er, schloss die Augen und dachte an den Juwelierladen, den sein Vater in der kleinen Stadt Eton betrieb.
    Merriman sagte langsam: »Der Türgriff ist wie ein Hebel, eine runde Stange, die man etwa zehn Grad nach unten drückt, um die Tür zu öffnen. Eine kleine Glocke bimmelt, wenn die Tür aufgeht. Man geht eine Stufe hinunter, um auf die Fußbodenebene zu kommen. Dieser Tritt gibt einem einen Ruck, ohne gefährlich zu sein. An den Wänden hängen gläserne Schaukästen und unter dem Glas der Theke — natürlich, das muss der Laden deines Vaters sein. Es gibt schöne Dinge darin. In der hinteren Ecke eine sehr alte Großvateruhr mit einem gemalten Zifferblatt und einem tiefen, langsamen Ticken. In der mittleren Vitrine eine Halskette mit Türkisen, in einer Silberfassung in Schlangenform: Ich glaube, eine Zuni-Arbeit, sehr weit von zu Hause weg. Ein Smaragdanhänger wie eine große grüne Träne. Das entzückende kleine Modell einer Kreuzritterburg — vielleicht ein Salzfässchen —, das du, wie ich glaube, schon als kleiner Junge geliebt hast. Und der Mann hinter der Theke, gedrungen und zufrieden und sanft, das muss dein Vater, Roger Stanton, sein. Interessant, ihn endlich einmal deutlich zu sehen, ohne den Nebel ... Er hat eine Lupe ins Auge geklemmt und betrachtet einen Ring: einen antiken Goldring mit neun winzigen Steinen, die in drei Reihen angeordnet sind, in der Mitte drei Diamantsplitter, zu beiden Seiten drei Rubine. An den Rändern sind seltsame, runenartige Linien, die ich mir bald einmal ansehen muss.«
    »Sie sehen sogar den Ring!«, sagte Will entzückt. »Das ist Mutters Ring. Das letzte Mal, als ich im Laden war, hat Papa ihn betrachtet. Sie glaubte, einer der Steine sei lose, aber er sagte, es sei eine optische Täuschung... Wie machen Sie das nur?«
    »Was soll ich machen?« In der tiefen Stimme lag eine viel sagende Sanftheit.
    »Nun — das. Wie bringen Sie ein Bild in meinen Kopf. Und wie sehen Sie das Bild, das ich mir vorstelle. Nennt man das Telepathie? Das ist phantastisch.« Aber während er sprach, wurde ihm selbst unbehaglich.
    »Nun gut«, sagte Merriman geduldig. »Ich will es dir auf eine andere Weise erklären. Neben dir auf dem Tisch ist ein Kranz von Kerzenflammen, Will Stanton. Also — weißt du, ob es möglich ist, eine der Flammen zu löschen, ohne sie auszublasen oder sie mit Wasser oder einem Löschhütchen oder mit der Hand auszudrücken?«
    »Nein.«
    »Nein. Es gibt keine Möglichkeit. Aber jetzt sage ich dir, dass du, weil du bist, der du bist, die Kerze auslöschen kannst, einfach indem du es wünschst. Für die Kraft, die dir verliehen ist, ist dies nur eine ganz kleine Aufgabe. Wenn du in Gedanken eine von diesen Flammen auswählst, an sie denkst und ihr in Gedanken befiehlst zu verlöschen,
dann wird die Flamme verlöschen.
Und ist das etwas, was ein gewöhnlicher Junge kann?«
    »Nein«, sagte Will unglücklich.
    »Tu es«, sagte Merriman.

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