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Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Titel: Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Cooper
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schließlich war es mit Hilfe ihres größten Führers gelungen, dieser war dabei zu Grunde gegangen, aber vielleicht würde er eines Tages wieder erstehen.
    Vor Wills Augen erhob sich der grasbewachsene, sonnenhelle Abhang eines Hügels. Das Zeichen des durchkreuzten Kreises war in das Gras eingekerbt und der weiße Kalkstein darunter machte es weithin sichtbar. Eine Gruppe von grün gekleideten Gestalten war damit beschäftigt, mit seltsamen Werkzeugen, einer Art Äxten mit langem Blatt, einen der Kreuzarme freizulegen. Es waren kleine Männer, die durch die Größe des Zeichens noch kleiner erschienen. Er sah, wie eine dieser Gestalten sich wie im Traum aus der Gruppe löste und auf ihn zukam: ein Mann in einem kurzen grünen Kittel und einem kurzen blauen Umhang mit einer Kapuze, die er über den Kopf gezogen hatte. Der Mann öffnete weit die Arme; in der einen Hand trug er ein kurzes Bronzeschwert, in der anderen einen schimmernden Kelch. Ganz plötzlich wandte er sich um und war verschwunden.
    Will schlug die nächste Seite auf und fand sich auf einem Pfad, der durch einen dichten Wald führte; ein duftendes, dunkelgrünes Kraut wuchs unter seinen Füßen; dann wurde der Pfad breiter und härter, Will ging auf Felsboden, glatt geschliffenem, buckligem Fels wie Kalkstein, der ihn aus dem Wald hinausführte. Nun ging er unter einem grauen Himmel über eine hohe, windige Bergkuppe und unten lag ein dunkles Tal im Nebel. Und während er so ganz allein daherging, prägten sich ihm, eins nach dem anderen, die machtvollen Worte ein, die sich auf die Alten Wege beziehen, und die Empfindungen und die Zeichen, an denen er in Zukunft erkennen würde, wo irgendwo auf der Welt der nächste Alte Weg verlief, entweder ein wirklicher Weg oder der Geist eines Weges ...
    So war Will schließlich fast am Ende des Buches angekommen. Vor ihm stand ein Vers:
Ich stürmte durch den Heidegrund,
Jedes Geheimnis ward mir kund;
Der alte Math von Mathonwy,

Der ahnte, was ich wusste, nie.
    Auf der letzten Seite waren die sechs durchkreuzten Kreise abgebildet. Sie waren zu einem Kreis vereint. Damit war das Buch Gra
marye
zu Ende.
     
    Will schloss langsam das Buch und starrte ins Leere. Er hatte das Gefühl, hundert Jahre gelebt zu haben. So viel zu wissen, so vieles tun zu können — es hätte ihn begeistern müssen. Aber er fühlte sich bedrückt und traurig bei dem Gedanken an alles, was geschehen war und noch kommen würde.
    Merriman trat zur Tür herein. Er war allein, blieb vor ihm stehen und blickte auf ihn nieder. »Ach ja«, sagte er sanft, »ich habe dir ja gesagt, dass es eine schwere Verantwortung ist, eine Last. Aber es ist nicht zu ändern, Will. Wir sind die Uralten, in den Kreis hineingeboren, da kann man nichts machen.« Er nahm das Buch und berührte Will leise an der Schulter: »Komm.«
    Will folgte ihm durch den Raum. Er sah, wie Merriman den Schlüssel wieder aus der Tasche zog und den Uhrkasten öffnete.
    Das lange Pendel schwang immer noch langsam hin und her, tickte wie der Herzschlag eines Menschen. Aber diesmal hütete Merriman sich nicht, es zu berühren. Er streckte die Hand mit dem Buch hinein, bewegte sie aber mit einem auffälligen Ungeschick, wie ein Schauspieler, der die Rolle eines Tollpatsches übertreibt. Während er das Buch hineinschob, berührte er mit einer Ecke das Pendel. Will konnte eine Sekunde lang die leichte Störung der Schwingung sehen. Dann taumelte er nach rückwärts, die Hände vor die Augen gepresst, denn der Raum füllte sich mit etwas, das er nachher nicht hätte beschreiben können — eine lautlose Explosion, das blendende Aufblitzen eines dunklen Lichtes, der Ausbruch einer Kraft, den man weder sehen noch hören konnte, der ihm aber einen Augenblick lang das Gefühl gab, dass die ganze Welt zerbarst. Als er die Hände von den Augen nahm und blinzelte, fand er, dass er gegen den Sessel geschleudert worden war, zehn Fuß von seinem früheren Standort entfernt. Merriman stand neben ihm, mit ausgebreiteten Armen gegen die Wand gedrückt. Und wo die Großvateruhr gestanden hatte, war nur noch eine leere Ecke. Es war kein Schaden zu entdecken, kein Zeichen von Gewaltanwendung, kein Zeichen einer Explosion.
    »Nun hast du es gesehen«, sagte Merriman. »Auf diese Weise war das Buch
Gramarye
geschützt, seit Beginn unseres Zeitalters. Wenn der Gegenstand, der das Buch schützte, auch nur angerührt würde, sollte er selbst, das Buch und der Mann, der es berührte, sich ins Nichts

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