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Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Titel: Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Cooper
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um. »Es ist weg!«, sagte er. Er sah Will mit einem Ausdruck von Verwunderung, Schrecken und Erschauern an. Sein Blick fiel auf den Gürtel, den Will noch in der Hand hielt. »Was ist geschehen?«, fragte er.
    Der Pfarrer stand auf, sein glattes, rundliches Gesicht verzog sich bei dem angestrengten Bemühen, das Unbegreifliche zu begreifen. »Es ist wirklich weg«, sagte er und ließ seinen Blick durch die Kirche schweifen. »Was immer für Einflüsse das waren. Der Herr sei gepriesen.« Auch er sah die Zeichen an Wills Gürtel und plötzlich lächelte er, ein fast kindliches Lächeln der Erleichterung und Freude. »Das hat es bewirkt, nicht wahr? Das Kreuz. Kein Kirchenkreuz, aber doch ein christliches Kreuz.«
    »Diese Kreuze sind sehr alt, Herr Pfarrer«, sagte zu aller Überraschung der alte George mit fester und klarer Stimme. »Aus einer Zeit lange vor dem Christentum, lange vor Christus.«
    Der Pfarrer strahlte ihn an. »Aber nicht vor Gott«, sagte er schlicht.
    Die Uralten schauten einander an. Es gab keine Antwort. Nur Will sagte nach einer Weile: »Aber eigentlich gibt es doch gar kein Vorher und Nachher. Alles, was wichtig ist, ist außerhalb der Zeit. Es kommt von dort und kann dorthin zurückkehren.«
    Mr. Beaumont wandte sich ihm überrascht zu: »Natürlich meinst du die Unendlichkeit, mein Junge.«
    »Nicht ganz«, sagte der Uralte namens Will, »ich meine den Teil von uns und von allem, was wir denken und glauben, der nichts mit gestern oder heute oder morgen zu tun hat, weil er zu einer anderen Schicht gehört. Auf dieser Ebene ist gestern noch da. Morgen ist auch da. Man kann beide besuchen. Und alle Götter sind da und alles, was sie bedeuteten. Und«, fügte er traurig hinzu, »auch das Gegenteil.«
    »Will«, sagte der Pfarrer und starrte ihn an, »ich bin nicht sicher, ob du exorziert oder geweiht werden solltest. Wir beide müssen uns bald einmal lange unterhalten.«
    »Ja«, sagte Will ruhig. Er schnallte seinen Gürtel, der schwer war von seiner kostbaren Last, wieder um. Während er dies tat, dachte er schnell und scharf nach. Was ihn beunruhigte, waren nicht Mr. Beaumonts theologische Vorstellungen, sondern Pauls Gesicht. Er hatte gesehen, dass sein Bruder ihn mit einer Art von furchtsamem Abstand betrachtete, die ihn schmerzlich traf. Es war mehr, als er ertragen konnte. Seine beiden Welten durften sich nicht so eng berühren. Er hob den Kopf, raffte all seine Kräfte zusammen und streckte seine Hände mit gespreizten Fingern gegen die beiden aus.
    »Ihr werdet vergessen«, sagte er in der Alten Sprache. »Vergesst!«
    »— einmal in einer Kirche in Edinburgh«, sagte der Rektor zu Paul und machte dabei den obersten Knopf seines Überziehers zu. »Die Sarabande in der fünften Suite bringt mich buchstäblich zum Weinen. Er ist der größte Cellist der Welt, ohne Zweifel.«
    »Oh ja«, sagte Paul. »Oh ja.« Er zog den Kopf in den Mantelkragen. »Ist Mama schon vorgegangen, Will? He, Mr. Dawson. Fröhliche Weihnachten!« Und er lächelte und strahlte auch die andern an und alle wandten sich der Kirchentür zu und traten in das Schneetreiben hinaus.
    »Fröhliche Weihnachten, Paul, und Ihnen auch, Mr. Beaumont«, sagte Bauer Dawson feierlich. »Ein schöner Gottesdienst, Herr Pfarrer, wirklich schön.«
    »Ah, das macht die Feststimmung, Frank«, sagte der Pfarrer. »Ein wunderbares Fest. Nichts kann unseren Weihnachtsgottesdienst stören, nicht einmal dieser Schnee.«
    Lachend und plaudernd gingen sie in die weiße Welt hinein, wo der Schnee sich über unsichtbaren Grabsteinen wölbte und die weißen Felder sich bis zur zugefrorenen Themse erstreckten. Kein Laut war zu hören, nichts unterbrach die Stille außer dem gelegentlichen Brummen eines Autos auf der weit entfernten Straße nach Bath. Der Pfarrer verabschiedete sich und holte sein Motorrad. Die anderen traten, fröhlich gegen den treibenden Schnee ankämpfend, ihre verschiedenen Heimwege an.
    Zwei schwarze Krähen hockten auf dem Friedhofstor. Als Will und Paul näher kamen, erhoben sie sich, halb flatternd, halb hüpfend, schwarze bizarre Formen vor dem weißen Schnee. Einer der Vögel hüpfte dicht vor Wills Füße und ließ mit einem kläglichen Krächzen etwas fallen. Will hob es auf. Es war eine glänzende Rosskastanie aus dem Krähenwäldchen, so frisch, als käme sie eben aus der Schale. Er und James sammelten immer im Frühherbst im Krähenwäldchen Kastanien, aber eine so große hatte er noch nie gesehen.
    »Sieh mal«,

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