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Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Titel: Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Cooper
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wieder an«, sagte er, »und steig ab.«
    Das Absteigen war schwieriger als das Aufsteigen; Pollux war so groß, dass Will wie ein fallender Ziegel in das Wasser platschte. Trotzdem fror er nicht; der Regen fiel immer noch, aber er war sanft; seltsamerweise schien er ihn sogar warm zu halten. Der alte George sagte noch einmal: »Ich gehe die Jagd zusammenrufen«, und ohne ein weiteres Wort des Abschieds trieb er Pollux auf die Heide zu und war verschwunden.
    Will erkletterte die Schneeböschung neben der überfluteten Straße, fand einen festen Standplatz und begann bis hundert zu zählen. Bevor er bei siebzig angelangt war, verstand er, was der alte George gemeint hatte. Allmählich begann die dunkle Welt sich wie von innen her ein wenig zu erhellen. Das strömende Wasser, der löcherige Schnee, die hohen Bäume — er sah alles in einem grauen, toten Licht. Und während er sich noch ratlos umschaute, sah er etwas auf der Strömung an sich vorbeitreiben; fast wäre er vor Überraschung ins Wasser gestürzt.
    Zuerst sah er das Geweih, das sich träge hin und her drehte. Dann konnte er die Farben unterscheiden, das grelle Blau, Gelb und Rot. Das seltsame Gesicht, die Vogelaugen, die spitzen Wolfsohren konnte er nicht unterscheiden, aber es war ohne Zweifel seine Karnevalsmaske, das rätselhafte Geschenk, das der alte Jamaikaner Stephen gegeben hatte, damit er es ihm schenken sollte; es war dieser sein kostbarster Besitz.
    Will stieß ein Geräusch aus, das fast wie ein Schluchzen klang, und sprang verzweifelt vor, um die Maske zu ergreifen, bevor die Flut sie davongetragen hätte, aber sein Fuß glitt aus, und als er das Gleichgewicht wieder erlangt hatte, verschwand die Maske schon aus seinem Blickfeld. Will begann auf der Böschung entlangzulaufen; es war ein Gegenstand der Uralten, es war ein Geschenk von Stephen und er hatte es verloren; er musste es um jeden Preis wiederbekommen. Aber mitten im Lauf hielt er inne. Der zweite Rat, hatte der alte George gesagt, denk daran,
dass ein Zauber im fließenden Wasser nicht wirken kann.
Der Kopf war in fließendem Wasser, das war klar. Solange er darin blieb, konnte niemand ihn zerstören oder ihn für falsche Zwecke benutzen.
    Zögernd verdrängte er den Kopf aus seinen Gedanken. Die große freie Fläche der Heide dehnte sich vor ihm aus, ein seltsamer Schimmer lag darüber; nichts regte sich. Sogar das Vieh, das sonst das ganze Jahr über hier graste und das an Nebeltagen geisterhaft aus dem Nichts auftauchte, war jetzt in den Ställen, der Schnee hatte es vertrieben. Will ging vorsichtig weiter. Das Rauschen des Wassers, das ihm so lange in den Ohren geklungen hatte, änderte sich, wurde lauter und vor ihm machte der Sturzbach, der die Huntercombe Lane ausfüllte, eine Wendung und vereinigte sich mit einem kleinen Rinnsal, das immer dort floss und das sich jetzt in einen schäumenden Strom verwandelt hatte. Die Straße, die bis dahin ein Bachbett gewesen war, führte fest und glänzend weiter; der alte George, das fühlte Will, hatte diesen Weg genommen. Auch er wäre gern auf der Straße weitergegangen, aber der besondere Sinn der Uralten sagte ihm, dass er bei dem Bach bleiben musste. Dieser würde ihm zeigen, wie er das weiße Pferd zum Jäger bringen konnte.
    Aber wer war der Jäger und wo war das weiße Pferd?
    Auf dem unebenen Schneewall, der an dem geschwollenen Bach entlanglief, ging Will vorsichtig weiter. Stämmige, knotige Kopfweiden begleiteten den Bachlauf. Plötzlich sah er zwischen der dunklen Baumreihe auf dem anderen Bachufer eine weiße, springende Gestalt. In der Dunkelheit, die nicht ganz dicht war, schimmerte es silbrig und in einem Aufsprühen von nassem Schnee stand die weiße Stute des Lichts plötzlich vor Will. Ihr Atem stieg als Dampfwolke durch den fallenden Regen. Sie war groß wie ein Baum, ihre Mähne wehte wild im Wind.
    Will berührte sie sanft. »Willst du mich tragen?«, sagte er in der Alten Sprache. »Wie du es schon einmal getan hast?«
    Während er noch sprach, fegte ein Windstoß über sie hin, ein heller Blitz zuckte über den Horizont. Das weiße Pferd schauderte, warf den Kopf zurück. Aber es beruhigte sich sofort wieder und auch Will fühlte, dass dieses bevorstehende Gewitter kein Gewitter der Finsternis war. Es war ein Teil dessen, was kommen sollte. Das Licht erhob sich, noch bevor die Finsternis sich erheben konnte.
    Er vergewisserte sich, dass die Zeichen an seinem Gürtel fest saßen, dann griff er, wie zweimal schon,

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